Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Gartenschlauch lag geschlängelt im Gras.
Instinktiv suchte Frieder nach einer Fortschreibung des Alters im Gesicht seines Vaters. Aber dessen Blick war wie gewohnt klar und durchdringend. Schlohweiße Haare wuchsen aus den Ohren, Altersflecke sprenkelten den Hals und die Arme. Die dünnen Beine verschwanden in der Arbeitshose, aber die Arme waren stark, die Haut spannte sich, anders als am Hals, fest über den Muskeln. Die schmalen Wangen schienen, wie auch bei Bernhard, die dominanten Lippen weit nach vorne zu schieben. Er ist alt, dachte Frieder, aber er ist nicht älter geworden.
„Das ist das Schöne an Streuobstwiesen“, sagte er und wischte sich mit dem Handrücken die Schweißtropfen von der Stirn, „man pflanzt und lässt wachsen. Man muss nicht düngen, keine Pflanzenschutzmittel einsetzen – du stehst da und schaust der Natur zu.“
Der Spaten fuhr an den Rändern der Grube entlang und vergrößerte sie unwesentlich. Wilhelm Geesen löste den Strick um den Jutesack und hob die Jungpflanze mit beiden Händen hoch, in einer einzigen Bewegung. Erde bröckelte von den Wurzeln.
„Erziehung ist komplizierter.“ Er versenkte den Baumsetzling in der Grube und schaufelte sie mit Erde zu. Unaufgefordert hielt Frieder den schmalen Stamm in der Senkrechten. „Man weiß nie, ob man seine Kinder einfach wachsen lassen soll oder ob man sie stutzen muss an Ästen, die doch keine Früchte tragen werden. Man fragt sich, was habe ich zu viel oder zu wenig getan, wenn sie als Erwachsene nicht einmal kommen, um dich zu begrüßen.“
Er schaute einen Moment lang geradeaus auf die Terrasse und trat dann die Erde um den Stamm fest.
„Er braucht Zeit“, sagte Frieder leise, „Bernhard ist in eine Sackgasse geraten, in jeder Beziehung.“
„Wenn ich mal mit meinem früheren Amt telefoniere, machen sie eine Kunstpause oder hüsteln nervös, wenn ich nach Bernhard frage.“
Er hob den Gartenschlauch auf und drehte das Ventil auf.
„Wie läuft es bei dir?“
Frieder drehte den Kopf zur Seite, weil er errötete.
„Keine Veränderungen. Die Fernsehsender fragen, und ich antworte.“
„Gut. Es wäre vermutlich nicht leicht, einen neuen Job zu finden. Ohne Examen.“
Frieder fühlte den letzten Satz wie eine Pfeilspitze in seiner Haut. Ein Studium ohne Abschluss lag für Wilhelm Geesen auf einer Ebene wie eine unehrenhafte Entlassung aus dem Militär. Frieder wusste nicht, was er erwidern konnte. Er glaubte auch nicht, dass sein Vater eine Antwort erwartete.
Nachdem Wilhelm Geesen den Boden um den Jungbaum ausgiebig gewässert hatte, gingen sie zum Geräteschuppen. Frieders Vater zog die Gummistiefel aus; er trug keine Strümpfe, Frieder sah die zahlreichen blauen Adern an den Füßen und die gelblichen, gekrümmten Fußnägel.
Sie betraten das Haus durch die Küchentür. Frieder holte die Flasche Wein aus seiner Reisetasche und stellte sie auf den Küchentisch. Er warf einen Blick ins Wohnzimmer; nichts hatte sich verändert, als wäre das Haus mitsamt seiner Einrichtung nach dem Tod von Wilhelm Geesens Frau in einen Dornröschenschlaf gefallen. Aber es roch anders, fand Frieder. In der Luft lag nicht mehr der Atem der Hausbewohner, es roch nach Möbeln, Staub und Einsamkeit.
„Setzt doch einen Kaffee auf. Ich gehe mich waschen.“ Wilhelm Geesen duschte nicht, er stellte sich vor das Becken, einen Waschlappen in der rechten, ein Stück Kernseife in der linken Hand, wie in einem Schullandheim oder in einer Kaserne. Einmal in der Woche ließ er ein Bad ein.
Bernhard rauchte auf der Terrasse, während Frieder in der Küche tätig war. Auf dem Kühlschrank entdeckte er einen Marmorkuchen in Plastikfolie aus dem Supermarkt und schnitt mehrere Scheiben ab. Er stellte das Geschirr auf ein Tablett und deckte den Wohnzimmertisch.
„Gut, du hast den Kuchen gefunden“, sagte sein Vater und setzte sich Frieder gegenüber auf die Couch. Er hatte ein frisches, hellblaues Hemd und eine braune Cordhose angezogen. Frieder sah, dass die Haare seines Vaters im Nacken vor Nässe glänzten – die Spur des Waschlappens.
Bernhard kam herein; als er sich vorbeugte und nach einem Stück Kuchen griff, roch Frieder das Nikotin im Atem seines Bruders. „Ich freue mich, dass ihr gekommen seid“, sagte Wilhelm Geesen. Er drehte den Kopf leicht zur Seite und legte den ausgestreckten Zeigefinger senkrecht vor seine Lippen, eine Geste, die Frieder seit seiner Kindheit vertraut war und stets einen Diskurs über etwas
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