Das letzte Einhorn
Satin machte sie nervös. Doch ließ die schlechte Arbeit die Lady Amalthea noch lieblicher erscheinen, so wie die feuchten Steine und der Rübengeruch es taten. In ihrem Haar glitzerte Regen.
Prinz Lir verneigte sich; es war eine hastige, missratene Verneigung, als hätte ihn jemand in den Magen getreten. »Meine Lady«, murmelte er, »du solltest wirklich deinen Kopf bedecken, wenn du bei solchem Wetter ausgehst.«
Die Lady Amalthea setzte sich an den Tisch, und sofort sprang die geströmte kleine Katze auf, machte einen Buckel, schnurrte schnell und weich. Sie streckte ihre Hand aus, doch die Katze wich ihr, immer noch schnurrend, aus. Sie schien keine Angst zu haben, duldete es’ aber nicht, dass ihr rostfarbenes Fell berührt wurde. Die Lady Amalthea winkte ihr, die Katze wedelte wie ein Hund vorn Kopf bis zum Schwanz, aber sie kam nicht näher.
Lir sagte mit rauer Stimme: »Ich muss gehen. Zwei Tagesritte von hier haust ein dorfmädchenverschlingender Oger. Es heißt, er könne nur von einem erschlagen werden, der die Große Axt des Herzogs Alban schwingt. Leider war Herzog Alban einer der ersten, die verschlungen wurden – er hatte sich als Dorfmädchen verkleidet, um das Ungeheuer zu täuschen –, und es besteht kein Zweifel, in wessen Besitz die Große Axt sich jetzt befindet. Wenn ich nicht wiederkehre, gedenket meiner. Lebt wohl.«
»Lebt wohl, Eure Hoheit«, erwiderte Molly. Der Prinz verbeugte sich wieder und verließ dann die Küche, um sich auf seine edle Ausfahrt zu begeben. Er blickte sich nur einmal um.
»Du bist grausam zu ihm«, sagte Molly. Die Lady Amalthea sah nicht auf; sie hielt der Katze ihre Handfläche hin, doch diese blieb, wo sie war, zitternd vor Begier, zu ihr zu kommen.
»Grausam?« fragte sie. »Wie könnte ich grausam sein? Das ist eine Sache für Sterbliche.« Doch dann erhob sie die Augen, die groß waren vor Gram und vor etwas, das an Spott grenzte. »Genau wie Mitgefühl.«
Molly Grue machte sich an dem Kessel zu schaffen, hantierte abwesend an ihm herum, rührte und würzte die Suppe. Leise sagte sie: »Du könntest ihm wenigstens ein freundliches Wort sagen. Er hat deinetwegen unerhörte Gefahren auf sich genommen.«
»Was sollte ich ihm sagen? Bisher habe ich nichts zu ihm gesagt, und dennoch kommt er jeden Tag mit neuen Köpfen an, mit neuen Hörnern, Häuten und Schwänzen, mit weiteren verzauberten Edelsteinen und verhexten Waffen. Was würde er erst tun, wenn ich mit ihm spräche?«
»Er möchte, dass du an ihn denkst. Ritter und Prinzen kennen nur diesen einen Weg, um sich in Erinnerung zu bringen. Es ist nicht seine Schuld. Ich denke, er tut sein Bestes.« Die Lady Amalthea richtete ihren Blick wieder auf die Katze. Ihre langen Finger zupften am Saum ihres Satingewandes.
»Nein, meine Gedanken will er nicht«, sagte sie leise. »Er will mich, so ungestüm, wie mich der Rote Stier wollte, und mit genau so wenig Verständnis. Er flößt mir noch mehr Furcht ein als der Stier, denn er hat ein gutes Herz. Nein, ich werde ihm nie ein hoffnungsvolles Wort sagen.«
Das Mal auf ihrer Stirn blieb in der Düsternis der Küche unsichtbar. Sie berührte es, zog ihre Hand so schnell zurück, als hätte sie sich daran gebrannt. »Das Pferd ist gestorben«, sagte sie zu der kleinen Katze. »Ich konnte nichts dagegen tun.« Molly legte ihre Hand auf Lady Amaltheas Schulter. Unter dem glatten Stoff fühlte sich ihr Körper kalt und hart an, wie die Steine in König Haggards Schloss. »O meine Lady«, wisperte sie, »das ist nur, weil du dich nicht in deiner alten Gestalt befindest. Wenn du sie zurückbekommst, werden deine Stärke, deine Gewissheit und deine Macht zurückkehren. Sie werden zurückkehren zu dir.« Es fehlte ihr der Mut, das weiße Mädchen in die Arme zu schließen, es wie ein Kind tröstend hin und her zu wiegen. Nie zuvor hatte sie so etwas auch nur geträumt.
Doch die Lady Amalthea antwortete: »Der Zauberer hat mir nur die Gestalt eines Menschen gegeben, nicht sein Wesen. Wäre ich damals gestorben, wäre ich immer noch ein Einhorn gewesen. Der alte Mann, der Zauberer Mabruk, hat das gewusst. Er hat nichts gesagt, um sich an Haggard zu rächen, doch er hat es gewusst.« Von selbst befreite sich das Haar von dem blauen Seidenband, stürzte ihren Nacken hinab und über die Schultern. Soviel Temperament hätte die Katze beinahe gewonnen; sie hob eine Pfote, um damit zu spielen, zog und ringelte den Schwanz um die Vorderpfoten. Ihre Augen waren grün und
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