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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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bös verbrannte. Da, ach, da kam sie zurück von dem Ort, an den sie sich zurückzieht, wenn ich mit ihr spreche, und sie sagte, sie müsse sogleich nach einem Pferd sehen. Ich führte sie in den Stall, wo das arme Tier steht und vor Schmerzen schreit; sie legt ihre Hand auf seine Beine – und das Pferd hört auf zu röcheln! Ein entsetzlicher Laut ist das, den sie machen, wenn sie schwer verletzt sind. Wenn sie aufhören damit, klingt es wie Musik.«
    Der Dolch des Prinzen lag blitzend zwischen den Kartoffeln. Draußen umheulten dichte Regenschwaden die Schloßmauern, doch die beiden in der Küche konnten sie nur hören, denn in dem kalten Raum gab es kein Fenster. Licht gab es auch nicht, abgesehen von der spärlichen Glut des Herdfeuers. Die in Mollys Schoß schlummernde Katze sah aus wie ein Häufchen Herbstblätter. »Und was geschah dann? Als die Lady Amalthea dein Pferd berührte?«
    »Nichts geschah, überhaupt nichts.« Lir geriet unvermittelt in Wut, schlug mit der Faust auf den Tisch, dass Lauch und Linsen nach allen Seiten flogen. »Hast du erwartet, dass etwas geschehen würde? Sie jedenfalls hat es getan! Hast du erwartet, dass des Tieres Wunden augenblicklich heilten? Dass sich die aufgeplatzte Haut schlösse, das verbrannte Fleisch heil würde9 Sie tat es – bei meiner Hoffnung auf sie schwör ich’s, sie hat es erwartet! Und als die Beine unter ihrer Hand nicht gesundeten, da lief sie davon. Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist.« Seine Stimme wurde weich, während er sprach, und seine Hand auf dem Tisch öffnete sich verzagt. Er stand auf, ging zum Fenster und schaute in den Topf. »Das Wasser kocht, du kannst das Gemüse jetzt reintuen. Sie hat geweint, als die Beine meines Pferdes nicht gesund wurden. Ich habe sie weinen hören, doch in ihren Augen waren keine Tränen zu sehen, als sie wegrannte. Alles andere war darin zu sehen, aber keine Tränen.«
    Molly setzte die Katze sacht zu Boden, klaubte das welke Gemüse zusammen. Prinz Lir sah ihr zu, wie sie hin und her ging, um den Tisch herum, über den glitschigen Boden zum Feuer hinüber. Sie sang ein Lied vor sich hin:
     
    Will tanzen am Tag in silbernen Schuh’
    wie ich’s nächtlich in meinen Träumen tu;
    so elegant und entzückend, so bezaubernd, berückend
    wie Tod in rotem Tuch und Taft.
    Doch wär’ ich so schmuck und schick,
    wünscht’ flugs ich ein ander’ Geschick
    wollt’ treu sein oder toll und tugendhaft.
     
    Lir sagte: »Molly, wer ist sie? Welche Frau glaubt – welche Frau weiß , denn ich sah ihr Gesicht –, dass sie durch eine Berührung ihrer Hand Wunden heilen kann9 Und was für eine Frau ist das, die ohne Tränen weint?« Molly unterbrach ihre Arbeit nicht, sondern summte weiter vor sich hin.
    »Jede Frau kann ohne Tränen weinen«, sagte sie nach einer Weile über die Schulter, »und die meisten können mit ihren Händen heilen. Sie ist eine Frau, Eure Hoheit, und das ist Rätsel genug!«
    Doch der Prinz stellte sich ihr in den Weg; sie blieb stehen, ihre Schürze voll Kräuter, ihre Haare in die Augen hängend. Lirs Gesicht, um fünf Drachen älter, doch immer noch hübsch und töricht, kam ganz dicht an das ihre heran. »Du singst. Mein Vater lässt dich die beschwerlichsten Arbeiten verrichten, die es gibt, und du singst. In diesem Schloss hat es noch nie Gesang gegeben, noch nie eine Katze oder den Duft von gutem Essen. Die Lady Amalthea ist es, die all das zuwege bringt, so wie sie mich dazu bringt, am Morgen hinauszureiten und die Gefahr zu suchen.«
    »Ich bin schon immer eine ziemlich gute Köchin gewesen«, sagte Molly milde. »Wenn man siebzehn Jahre lang mit Cully und seinen Männern im grünen Wald gelebt …«
    Prinz Lir sprach weiter, als hätte sie gar nichts gesagt. »Ich möchte ihr dienen, so wie du es tust, ihr finden helfen, was immer sie hier sucht. Ich möchte sein, was sie am meisten braucht. Sag ihr das. Wirst du’s ihr sagen?«
    Während er sprach, hallte in seinen Augen ein lautloser Schritt wider, beunruhigte das Rascheln von Atlas sein Gesicht. Die Lady Amalthea stand unter der Tür.
    Der Herbst in König Haggards frostigem Reich hatte ihrer Schönheit nichts anhaben können, und der Winter schien sie noch geschärft zu haben, denn jetzt drang diese Schönheit in den Betrachter ein wie ein Pfeil mit Widerhaken. Ihr weißes Haar war mit einem blauen Seidenband hochgebunden, ihr Gewand fliederfarben und leuchtend. Es passte nicht sehr gut, denn Molly Grue nähte sehr nachlässig, und

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