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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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sagte sie. »Wir wollen ihn zusammen betrachten.«
    König Haggard trat zögernd neben sie an die Brüstung, doch verschwendete er nur einen einzigen Blick auf die winzige, blinkende Figur dort drunten. »Nein, was geht uns beide Prinz Lir an?« fragte er. »Er ist nicht von meinem Fleisch und Blut, gehört mir weder durch Abstammung noch durch geistige Verwandtschaft zu. Ich habe ihn irgendwo aufgelesen, wo ihn andere hingelegt hatten; denn ich dachte, ich sei noch nie glücklich gewesen, weil ich keinen Sohn hatte. Am Anfang war es ganz unterhaltsam, aber das verging recht bald. Alle Dinge sterben. wenn ich sie anfasse. Ich weiß nicht, weshalb sie sterben, aber es ist immer so gewesen, mit einer Ausnahme. Es gibt etwas, das ich besitze, was niemals starr und kalt geworden ist unter meiner Hand, das einzige, was je ganz allein mir gehört hat.« Sein grimmiges Gesicht verschloss sich jählings wie eine zuschnappende Falle. »Und Lir wird dir bei der Suche keine Hilfe sein. Er weiß nicht einmal, was es ist.«
    Ohne Warnung erzitterte das gesamte Schloss wie eine angerissene Saite, das schlafende Untier in seinem Bauche verlagerte sein grässliches Gewicht. Die Lady Amalthea fand mühelos ihr Gleichgewicht wieder, denn in der Zwischenzeit hatte sie sich daran gewöhnt. »Der Rote Stier?« fragte sie leichthin. »Wie kommst du nur darauf, dass ich gekommen bin, um den Roten Stier zu stehlen? ich habe kein Königreich zu bewachen und kenne keine Eroberungsgelüste. Was sollte ich mit ihm anfangen? Wie viel frisst er denn?«
    »Verspotte mich nicht!« erwiderte der König. »Der Rote Stier gehört mir so wenig wie der Junge, und er frisst nichts, und er kann nicht gestohlen werden. Er dient jedem, der frei ist von Furcht – und ich bin ebenso ohne Furcht, wie ich ohne Ruhe bin.« Die Lady Amalthea sah böse Vorzeichen über das lange graue Gesicht gleiten und in die Augenhöhlen und Runzeln flüchten. »Verspotte mich nicht«, sagte er zum zweiten Mal. »Warum spielst du mir vor, du hättest deine Suche vergessen, und lässt dich von mir daran erinnern? Ich weiß, weshalb du gekommen bist, und du weißt sehr wohl, dass ich es besitze. Nimm es dir, wenn du kannst – aber lass dir nicht einfallen, jetzt aufzugeben!« Die tiefen Furchen waren messerscharf.
    Prinz Lir sang im Reiten, doch die Lady Amalthea konnte die Worte noch nicht verstehen. Furchtlos sagte sie zum König: »Mein Gebieter, in deinem gesamten Schloss, in deinem ganzen Reich, in all den Ländern, die der Rote Stier noch für dich erobern mag, gibt es nur ein einziges Ding, das ich begehre. Und du hast mir vor weniger als einer Minute selbst gesagt, dass du nicht darüber verfügst! Was immer du außer ihm so schätzest – ich wünsche dir von Herzen Freude daran. Lebt wohl, Eure Majestät.«
    Sie ging zur Turmtreppe, doch Haggard stellte sich ihr in den Weg, und sie blieb stehen. Sie sah ihn aus Augen an, die so dunkel waren wie Hufspuren im Schnee. Der graue König lächelte, ein seltsames Gefühl der Zuneigung durchfröstelte sie einen Moment, denn sie bildete sich plötzlich ein, dass sie einander sehr ähnlich seien. Doch dann sagte er: »Ich kenne dich. Ich erkannte dich beinahe im gleichen Augenblick, als ich dich auf der Straße dort unten sah, wie du mit deinem Harlekin und deiner Köchin vor meiner Tür standest. Seit damals hat dich jede deiner Bewegungen verraten. Ein Schritt, ein Blick, ein Wenden des Kopfes, das Schimmern deines Halses, wenn du atmest, selbst deine Art, vollkommen reglos. zu stehen – das alles waren meine Spione. Eine Weile hast du mir Kopfzerbrechen bereitet, und auf meine Weise bin ich dir dankbar dafür. Doch deine Zeit ist abgelaufen.«
    Er sah über die Schulter aufs Meer hinaus, trat jäh an die Brüstung, mit der sorglosen Anmut eines jungen Mannes. »Die Flut setzt ein! Komm her und schau! Komm her!« Er sprach sehr sanft, doch in seiner Stimme lag plötzlich etwas vom Geschrei der hässlichen Vögel am Strand. »Komm her!« sagte er ungestüm. »Ich werde dich nicht anfassen.«
     
    Prinz Lir sang: Ich werde dich lieben,
    solang ich nur kann, und sei es bis Übermorgen …
     
    Der grässliche Kopf an seinem Sattel schien schaukelnd die Begleitung zu singen, in einer Art Bass-Falsett. Die Lady Amalthea gehorchte und stellte sich neben den König.
    Die Wellen liefen ein unter einem schweren, schlierigen Himmel, langsam wie Bäume wachsend, während sie sich über das Meer schoben. Sie duckten sich, sobald sie in

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