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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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Männern hat es früher oft für mich gesungen.
    Ich glaube nicht so richtig daran, ich denke, Liebe ist stärker als Gewohnheiten oder Umstände. Ich glaube, es ist möglich, sich lange, lange Zeit für jemanden zu bewahren und sich, wenn sie dann kommt, daran zu erinnern, warum man gewartet hat.« Die Lady Amalthea lächelte wieder, gab ihm jedoch keine Antwort. Der Prinz tat einen einzigen Schritt auf sie zu.
    Über seine eigene Kühnheit staunend, sagte er sanft: »Ich möchte in deinen Schlaf kommen und dich darin behüten, ich möchte alles erschlagen, was dich verfolgt und beunruhigt, wie ich es auch täte, wenn diese Dinge den Mut hätten, mir im Tageslicht entgegenzutreten. Aber das kann ich nicht, es sei denn, du träumtest von mir.« Bevor sie darauf eine Antwort hätte geben können, hörten sie unter sich auf der Wendeltreppe Schritte und König Haggards verhangene Stimme. »Ich habe ihn singen hören! Wie kommt er dazu, hier zu singen?«
    Schmendrick der Hofzauberer beeilte sich, unterwürfig zu sagen: »Sire, das war nur eine Heldenballade, ein Chanson de geste, wie er sie oftmals singt, wenn er hinauszieht in den Ruhm oder heimkehrt zur Ehre. Seid versichert, Majestät …«
    »Er hat hier noch nie gesungen«, sagte der König. »Ich bin sicher, dass er auf seinen Narrenfahrten ununterbrochen singt, weil das von Helden erwartet wird. Aber er hat hier gesungen, und zwar nicht von Heldenmut und Kampf, sondern von Liebe. Wo ist sie? Ich wusste, denn selbst die Steine erbebten, wie sie es sonst nur tun, wenn sich der Stier dort drunten regt. Wo ist sie?«
    Der Prinz und die Lady Amalthea sahen einander im Dunkeln an, und in diesem Augenblick standen sie Seite an Seite, obwohl sich keines gerührt hatte. Da erfüllte sie große Furcht vor dem König, denn was immer in diesem Augenblick zwischen ihnen entstanden sein mochte – es war etwas, was er zerstören wollte. Ein Treppenabsatz über ihnen mündete in einen langen Gang, sie liefen nebeneinander, konnten nicht weiter sehen, als ihr Atem reichte. Ihre Füße waren so lautlos wie das Versprechen, das sie ihm gegeben hatte, doch seine schweren Stiefel klangen wie schwere Stiefel auf einem Steinboden. Der König verzichtete auf eine Verfolgung, seine Stimme jedoch rasselte den Gang hinunter hinter ihnen her, übertönte, was der Zauberer sagte: »Mäuse, Majestät, ohne jeden Zweifel. Zum Glück bin ich im Besitze eines einzigartigen Zauberspruches …«
    »Lass sie laufen«, sagte der König. »Es freut mich, dass sie davonlaufen.«
    Als sie nicht mehr rannten, sahen sie, ohne des Ortes zu achten, einander wieder in die Augen.
     
    So klagte und kroch der Winter dahin, nicht einem Frühling entgegen, sondern dem kurzen, verzehrenden Sommer in König Haggards Land Das Leben im Schloss ging weiter, ging weiter in dem Schweigen, das einen Ort erfüllt, an dem niemand mehr auf irgend etwas hofft. Molly Grue wusch und kochte, schrubbte Steinböden, flickte Rüstungen und schärfte Schwerter; sie hackte Holz, mahlte Mehl, striegelte Pferde und säuberte ihre Ställe, schmolz gestohlenes Gold und Silber ein für des Königs Schatztruhen und machte Ziegel ohne Stroh. Des Abends, bevor sie zu Bett ging, las sie für gewöhnlich Lirs neue Gedichte durch, die er für die Lady Amalthea geschrieben hatte, lobte sie und verbesserte die Rechtschreibung.
    Schmendrick riss seine Possen, trieb Mumpitz und Gaukeleien, wie ihm der König gebot; er hasste seine Tätigkeit und war sich im klaren, dass Haggard dies wusste und sich darüber freute. Er schlug Molly nicht mehr vor, zu fliehen, bevor König Haggard sich wegen der Lady Amalthea ganz sicher war; versuchte nicht mehr, den geheimen Gang zum Roten Stier zu finden, selbst wenn Haggard ihm freie Zeit dafür ließ. Er schien kapituliert zu haben, nicht vor dem König, sondern vor einem weit älteren, grausameren Feinde, der ihn endlich eingeholt hatte, in diesem Winter und an diesem Ort.
    Die Lady Amalthea ward mit jedem Tage schöner, die Tage wurden immer grauer und grimmiger. Die alten Krieger, die durchnässt und zitternd von ihren Rundgängen herabkamen oder von ihren Diebesfahrten heimkehrten, öffneten sich lautlos wie Blumen, wenn sie ihr auf der Treppe oder in der Halle begegneten. Sie lächelte ihnen zu und gab ihnen gute Worte, doch wenn sie vorüber war, schien das Schloss düstrer als je zuvor, und der Wind rüttelte und schüttelte die Wolken, als wären sie Bettücher auf einer Wäscheleine. Denn die

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