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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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in diesem Büchlein.
    Versonnen betrachte ich die leere Schatulle mit den kreuzförmigen Beschlägen aus Gold. War sie einst ein Reliquiar? Ich nehme sie aus der Truhe und betrachte sie noch einmal von allen Seiten. Außer dem zerknüllten Brokattuch, das wohl einst eine Reliquie verhüllte, ist sie leer. Ich schüttele sie, untersuche auch alle Seitenwände. Kein doppelter Boden. Das Reliquiar ist leer.
    Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Das Reliquiar enthielt das Mandylion. Ich habe es herausgenommen und …
    Schritte im Gang lassen mich aufschrecken.
    Gil!

Kapitel 10
    In der Zelle des Abtes
21. Dezember 1453
Viertel nach zwölf Uhr mittags
    Ist das Stundengebet schon vorbei? Oder bin ich wieder einmal aus der Wirklichkeit herausgefallen?
    Hastig lege ich das leere Reliquiar zurück in die Truhe, das Fläschchen mit der Geheimtinte daneben, schließe den Deckel und greife nach meinem Notizbuch.
    Zurück zum Bett!
    Auf allen vieren krieche ich um den Stuhl herum. Da ist der Bettpfosten. Als ich mich aufrichten will, verliere ich das Büchlein, und mit einem lauten Knall landet es auf dem Boden.
    Nein, bitte nicht!
    Ich mache einen Schritt zur Seite, um es aufzuheben, doch da stoße ich es versehentlich unter das Bett.
    Ich sinke auf die Knie und versuche, es mit dem ausgestreckten Arm zu erreichen, aber ich schaffe es nicht.
    Die Schritte werden immer lauter.
    Ich will schon ins Bett kriechen, da erinnere ich mich an den rußigen Saum des Habits.
    Auch das noch!
    Schwer atmend und schweißnass vor Anstrengung ziehe ich mir das lange Gewand über den Kopf und schleudere es vor das Kaminfeuer, wo es als zerknüllter Haufen auf dem Boden liegen bleibt.
    Ich habe keine Waffe, schießt es mir durch den Kopf. Der Schürhaken? Nein, ich lasse ihn besser stehen. Gil wird es merken, wenn er fehlt.
    Nackt krieche ich ins Bett, lasse mich auf die Seite fallen und ziehe die Decke hoch bis zur Schulter, als würde ich entspannt schlafen.
    Gerade noch rechtzeitig!
    Mit geschlossenen Augen lausche ich den Geräuschen.
    Jemand tritt leise ein und schließt die Tür hinter sich. Dann kommt er langsam zum Bett herüber. Gil? Ja, ich bin mir sicher, es ist Gil.
    Metall schabt auf Holz. Wahrscheinlich ein Zinnteller, der auf den Nachttisch gestellt wird. Es duftet verführerisch nach gebratenem Fleisch in dunkler Weinsauce. Wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen? In Byzanz?
    Dann ist es still. Er atmet.
    Was tut er denn?, frage ich mich unruhig. Sieht er mich an, ob ich wirklich fest schlafe? Oder blickt er sich im Zimmer um, ob ich irgendetwas berührt und verrückt habe? Seinen zerknüllten Habit vor dem Feuer kann er unmöglich übersehen.
    Du lieber Himmel, habe ich den Deckel der Truhe geschlossen? Ich weiß es nicht mehr …
    Vor Schreck zucke ich schmerzhaft zusammen. Plötzlich eine Bewegung an meiner Bettdecke! Als ob eine Maus von meiner Schulter über meine Hüfte die Beine hinunterläuft.
    Es ist seine Hand. Er streicht mit seinen Fingern über die Decke, während er zum Fußende des Bettes geht.
    Aber warum?
    Feine Schweißperlen rinnen über meine Haut.
    Was tut er denn?
    Will mein orientalischer Märchenprinz mich wachküssen?
    Nicht in Panik geraten! Ganz ruhig bleiben!
    Die Bettdecke bewegt sich. Ein Luftzug streift meine nackten Füße. Sein Atem?
    Ich erstarre.
    Und zucke erschrocken zusammen, als seine warmen Hände plötzlich meine eiskalten Füße packen und sie sanft reiben.
    Der Kerl ist gerissen!, denke ich. Vermutlich sind meine Füße rußig schwarz vom Staub vor dem Fenster – so wie der Saum des Habits, mit dem ich den getauten Schnee aufgewischt habe. Gil weiß also, dass ich das Bett verlassen habe. Dass ich ihn und Lionel im Schneegestöber belauscht und die Reisetruhen durchwühlt haben könnte.
    »Adriana?«
    »Hmmm …«, murmele ich verschlafen ins Kopfkissen und trete nach seinen Händen, die noch immer über meine Füße reiben.
    »Adriana, schläfst du?«
    »… bin so müde …«, nuschele ich.
    Gil lässt meine Füße los und legt die Bettdecke zurück.
    »Adriana, mein Liebes, ich habe dir etwas gekocht …«
    »Hmmm …«
    Ich spüre seinen Atem auf meinem Gesicht. Und seine Hand auf meinem Haar.
    »Adriana?«, flüstert er sanft.
    »Hmmm …«
    »Kann ich dich eine Weile allein lassen, mi cariña?«
    Plötzlich kann ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren. Seine Hand legt sich auf meine Schulter. Er beugt sich über mich und wühlt in den Falten des Lakens rund um das

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