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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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auf die Armlehne. »Was stand dort?«
    Wortlos nehme ich das Notizbuch vom Tisch, ziehe den gespitzten Silberstift aus dem Buchrücken und schlage die letzte Seite auf, wo ich erst vor wenigen Stunden verzweifelt geschrieben habe: ›Ich bin nicht verrückt, denn ich kann klar denken und vernünftige Entscheidungen treffen. Und trotzdem geschehen immer wieder erschreckende Dinge, die ich mit meinem Verstand nicht begründen kann. Aber ich werde schon noch dahinterkommen, was mit mir geschieht …‹
    Auf der nächsten Seite skizziere ich, was auf dem zerknitterten Zettel aus dem Schlüssel zu sehen war. Das Kreuz zeichne ich besonders deutlich – der gespitzte Silberstift zerreißt beinahe das Pergament.
    Es kann nicht schaden, wenn er die geheime Nachricht sieht. Vermutlich wird er sie ebenso wenig entschlüsseln wie ich. Oder Gil. Oder wer auch immer sie inzwischen in den Händen hält …
    Unruhig nimmt er mir mein Notizbuch aus der Hand und betrachtet die grobe Zeichnung.
    »Dio del Cielo!«, seufzt er, als er mir das Büchlein schließlich zurückgibt. »Weißt du, wie zwei Menschen ein Geheimnis bewahren können?«
    »Einer von ihnen muss sterben.«
    »Galcerán.«
    Ich nicke versonnen.
    »Erzähl weiter!«
    »Also, ich vermute …«

Kapitel 17
    Vor der Tür der Geheimkammer in der Bibliothek
21. Dezember 1453
Kurz vor fünf Uhr nachmittags
    … der Schlüssel in meiner Hand birgt ein Geheimnis. Und was ist mit dem Schloss?
    Ich knie mich davor hin und betrachte es genau. Das Holz der Tür ist weich und verquollen, das Schloss ist rostig. Der Schließmechanismus dürfte klemmen.
    Alles eine Frage des richtigen Werkzeugs, denke ich und gehe in die Werkstatt zurück, um ein Brecheisen zu holen.
    Nach einem entsetzlich lauten Krachen gibt das Schloss schließlich nach. Die Tür fliegt auf und knallt mit Donnergetöse gegen die Wand.
    Ich knie über einer Wendeltreppe, die vor langer Zeit zugemauert wurde. Die Stufen, die in die Tiefe führen, enden vor einer massiven Wand. Drei Stufen unter mir ist die Treppe mit Büchern übersät, einer jahrhundertealten Schicht aus Pergament, Papyrus und Papier. Ich gehe drei Stufen hinunter, um das Durcheinander besser überblicken zu können.
    Hunderte Bücher, ermordet und begraben. Ein richtiges Gemetzel, so empfinde ich den Anblick der Folianten, Codices und Schriftrollen: zerfetzte Bücher, zerknickte Papyrusrollen, herausgerissene Seiten mit verblassten Illuminationen, ein wüster Haufen von braunem und vergilbtem Pergament, teilweise zusammengeklebt wie Pappmaché, teilweise noch gut erhalten und lesbar, von Mäusen angefressene und vollgeschissene Papyrusfetzen. Der Gestank ist furchtbar.
    Und diese zugemauerte Treppe? Ist es eine Genisa, wie in einer jüdischen Synagoge – eine verborgene Kammer, in der Schriften begraben werden, die nicht mehr verwendet werden? Ruhen hier zerfetzte antike Manuskripte und zerfallene Codices von der Jahrtausendwende, die nicht mehr ausgebessert werden konnten?
    Eine goldglänzende Ikone ragt aus dem stinkenden Haufen heraus. Eine Maus klettert über das Antlitz Jesu Christi und bedeckt das Blattgold mit ihrem Kot.
    Aus irgendeinem Grund bin ich beunruhigt. Wegen der Ikone? Oder wegen der Maus? Oder ist es wegen des Geruchs?
    Ja, das wird’s sein. Ich wage mich nicht weiter vor. Der Schimmel auf dem Papyrus könnte giftig sein. Woher ich das weiß? Als Reliquienhändlerin muss ich mich damit doch auskennen, oder nicht?
    In diesem Büchergrab werde ich wohl keine Klosterchronik finden, die mir verrät, in welcher Benediktinerabtei ich mich befinde. Mit spitzen Fingern wühle ich mich trotzdem durch die Schichten der Jahrhunderte und lese die Pergamentfetzen. Schließlich stoße ich in einem Brief, der in einer Sammlung liturgischer Texte aus dem neunten Jahrhundert liegt, auf einen Namen:
    … Sacra di Sant’Angelo , l’abbazia affidata ai Benedettini …
    Der Name der Abtei, die den Benediktinern anvertraut wurde, sagt mir nichts.
    Ich werfe den Brief zurück, stütze mich auf die Stufen hinter mir und rappele mich ächzend wieder hoch. Sobald ich die aufgebrochene Tür wieder geschlossen habe, hänge ich mir den Schlüssel mit dem gerollten Pergamentzettel im hohlen Schaft wieder um und verlasse die Bibliothek.
    Die Geräusche, die aus den düsteren Gewölben plötzlich zu mir heraufdringen, machen mir Angst. Ein Kratzen, ein Knurren. Als lauere dort unten etwas Gewalttätiges, Blutgieriges.
    Mein Mund ist auf einmal ganz

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