Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
eiskalten Steinboden legt.
Meine Hand tastet zum Griff des Dolches, während mein Blick sich zum Portal auf der anderen Seite der Kirche wendet. Wie kann ich mich durch die Basilika bewegen, ohne dass Gil mich bemerkt?
Gar nicht.
Und wenn ich ihn töte, während er betet?
Auch nicht. Denn er wird mich hören und aufspringen, bevor ich ihn erreicht habe.
Was nun?
Mein Blick irrt durch das dunkle Seitenschiff. Wenige Schritte entfernt führt eine steile Treppe hinunter in die Krypta, aus der ein düsterer Lichtschimmer zu mir heraufdringt. Im anderen Seitenschiff gibt es noch eine Treppe nach unten in eine von Kerzen beleuchtete Kapelle. Liegt Galcerán dort unten aufgebahrt, mit Habit und Schwert?
Vielleicht sind die beiden Krypten durch einen Gang verbunden. Vielleicht kann ich diese Treppe hinuntersteigen und die andere wieder hinauf, um unbemerkt zum Portal zu gelangen …
Hoffentlich! Denn ich muss vor Gil in meinem Zimmer sein!
Der Geruch von Tod, den der kalte Weihrauchduft noch unerträglicher macht, schlägt mir entgegen, als ich lautlos die Stufen zur Krypta hinabschleiche.
Die unterirdische Kapelle, die an eine Gruft erinnert und genauso nach feuchter Erde riecht, ist aus dem Fels herausgehauen. In einer halbrunden Apsis steht ein steinerner Altar. Kein Altarkreuz, keine Kerzen. Kein Heiligenbild, kein Crucifixus an den kalten Felswänden. Sehr schlicht, das alles.
Aber Mäuse gibt es! Fiepend flüchten sie in einen finsteren Felsspalt, als ich den von Kerzenschein erleuchteten schmalen Gang betrete, der in die andere Krypta führt.
Nach wenigen Schritten zweigt nach rechts ein in den Felsen gehauener Gang ab, der mit einem Tonnengewölbe abschließt. Im düsteren Kerzenschein kann ich erahnen, dass der Gang mit Pfeilern und gemauerten Bögen abgestützt wurde. Hinter dem Lichtschein der Kerzen verliert sich der Gang in der Finsternis. Wohin führt er? Zu der Grabnische, in der ich heute Morgen lebendig begraben werden sollte?
Ich betrete die Krypta unter dem rechten Seitenschiff. Tatsächlich, vor dem Altar liegt Galcerán aufgebahrt. Mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen, die auf dem Griff seines Schwertes ruhen, liegt er in seinem Habit auf einem behelfsmäßigen Katafalk aus aufgeschichteten Holzscheiten.
Vor dem Leichnam bleibe ich stehen und betrachte ihn.
Ist es die Erschöpfung? Das Fieber? Die Schuld, ihn getötet zu haben? Ich taumele gegen den Katafalk und muss mich an Galcerán festhalten, um nicht zu Boden zu stürzen.
Entsetzt starre ich meine Hände an. Sie sind blutig. Wie der Dolch in meiner Hand. Blut rinnt von den Wänden der Kapelle und sammelt sich in einer schimmernden Lache. Mittendrin liegt ein Mann, dessen Gesicht ich nicht erkennen kann. Er trägt den schwarzen Habit der Johanniter. Ist das Diniz? Habe ich ihn getötet? Neben ihm liegt ein zerknitterter Pergamentzettel, der aus einem Notizbüchlein herausgerissen wurde. Die griechische Schrift kann ich nicht lesen.
Ein Geräusch lässt mich herumwirbeln.
Ein schwarzer Schemen kommt aus den Schatten auf mich zu. Auf seinem Habit leuchtet das weiße Kreuz der Johanniter. In seiner Hand hält er ein Schwert, das von Blut trieft. Bedrohlich langsam kommt er auf mich zu.
Als er in den düsteren Lichtschein der Kerzen tritt, erkenne ich ihn. Es ist Galcerán.
»Ein letztes Gebet, Euer Gnaden. Es ist so weit.« Mit einer kraftvollen Bewegung hebt er das Schwert über seinen Kopf.
Nein, nicht auf mich. Sondern auf den Mann, der schwer verletzt zwischen uns liegt und vergeblich versucht, sich aufzurichten.
Ich lasse den blutigen Dolch fallen und ziehe mein Schwert.
»Wo ist das Mandylion?« Galcerán richtet sein Schwert auf die Brust meines tödlich verletzten Gemahls. »Gebt es mir, oder er stirbt.«
»Er ist so gut wie tot, wenn ich nicht sofort seine Wunden versorge. Seht Ihr nicht, wie das Blut aus ihm herausrinnt?«
Galcerán reagiert nicht. Das Blut des Gottessohnes ist ihm wichtiger als das Blut meines Mannes.
Wie ich diese scheinheilige Kreuzfahrerart hasse!
Ich suche mir einen sicheren Stand auf dem blutnassen Marmorboden, spanne meine schmerzenden Schultern an und hebe mein Schwert über den Kopf.
Mit einem Aufschrei stürmt Galcerán um den Katafalk herum und wirft sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich. Ich weiche ihm aus, taumele rückwärts, stolpere dabei über den toten Diniz und stürze in die Blutlache.
Dann ist Galcerán über mir … und dann …
Nein, nicht weiter! Das ertrage ich
Weitere Kostenlose Bücher