Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
japsend taumelt er rückwärts gegen eine der Glocken, die zu schwingen und unter dem Aufprall dumpf zu dröhnen beginnt. Galcerán blutet aus einer Wunde am Kopf.
»Galcerán, ich hab dich gewarnt. Ich dulde keinen Verrat. Ich bringe das Mandylion zum Papst nach Rom, nicht zum Großmeister nach Rhodos.«
Er schnaubt verächtlich.
»Du weißt, was ich mit Verrätern mache!«, warne ich ihn und hebe meinen Dolch.
»Du richtest sie hin, wie Kardinal Vitelleschi.« Er wischt sich das Blut aus dem Nacken. Der Schlag hat ihn benommen gemacht.
»Er hat mich auch verraten, Galcerán. Er hat meinen Vater ermordet. Und meinen Bruder. So wie du meinen Ehemann getötet hast. Und beinahe mich. Ich dulde keinen Verrat.«
Mit einem zornigen Schrei stürzt er sich auf mich. Mit einer geschmeidigen Bewegung springe ich zurück bis zur Fensterbrüstung, reiße meinen Dolch hoch und ramme ihm die Klinge mit aller Kraft in die Halsschlagader.
Mit aufgerissenen Augen blickt er mich erschrocken an, während ich mit der einen Hand den Dolch herausziehe und ihm mit der anderen den Schlüssel entreiße. Blut spritzt aus der Wunde bis in mein Gesicht. Röchelnd sinkt er gegen meine Schulter. Er rutscht an mir herunter und reißt mich mit seinem Gewicht um, sodass ich auf der Schneeverwehung ausrutsche, gegen die Brüstung stolpere und … rückwärts aus dem Fenster stürze.
Der Schrei … der Sturz … der harte Aufprall auf dem schmalen Sims unterhalb des Turms … das Herumwirbeln im Schnee … das Abrutschen über den schroffen Felsgrat … die Stöße und Schläge gegen meinen Kopf und meine Glieder … der schmerzhafte Aufschlag unten im Garten. Und dann …
… der Tod.
Kapitel 24
Im Glockenturm
21. Dezember 1453
Viertel vor sieben Uhr abends
Bebend vor Entsetzen halte ich mich an der Fensternische fest, um nicht noch einmal zu stürzen. Erschöpft sinke ich auf die Knie, drehe mich um, rutsche mit dem Rücken an der Wand hinunter und bleibe benommen auf dem Boden des Glockenstuhls sitzen.
Ich nehme nichts mehr um mich herum wahr. Wie lange dieser Zustand dauert? Ich weiß es nicht. Als ich schließlich blinzelnd die Augen aufschlage, fühle ich mich zu Tode erschöpft. Wie lange halte ich noch durch? Und was dann? Wieder eine Ohnmacht?
Hoffentlich nicht!
Mit zitternden Fingern ziehe ich den Schlüssel unter meiner Jacke hervor, halte ihn am ausgestreckten Band und betrachte ihn im düsteren Licht der Schneewolken. Dann nestele ich umständlich die kleine Schatzkarte aus meiner Tasche.
Reiß dich zusammen, Sandra! Du hast schon ganz andere Strapazen überstanden. Zweitausend Meilen hast du geschafft, die letzten achtzig bis nach Orvieto zum Papst schaffst du auch noch. Im Stall stehen Pferde. Du musst nur hinunter ins Tal. Ist doch ganz einfach, Sandra!
Ich werde fliehen. Aber nicht ohne das Mandylion.
Entschlossen schiebe ich den Schlüssel wieder unter die Jacke und stehe ächzend auf. Meine Glieder schmerzen vor Kälte, und ich zittere am ganzen Körper. Das ist nicht mehr der Haschischrausch. Ich habe Fieber. Ich muss so schnell wie möglich zurück ins Bett und ein paar Stunden schlafen, bevor ich aufbreche.
Aber was, wenn ich nicht wieder aufwache? Was, wenn ich dieses Mal wirklich sterbe?
Ich atme tief durch.
Mit der Karte in der Hand schiebe ich mich durch die Falltür und taste mich die Wendeltreppe hinunter bis zum Portal, das ins Seitenschiff der Kirche führt. Einige Stufen tiefer öffnet sich eine Tür auf die Terrasse unterhalb des Campanile. Vorhin habe ich geglaubt, dort den Schemen gesehen zu haben, der mich im verwilderten Gärtchen beobachtete. Ich stapfe durch den knietiefen Schnee und blicke hinüber zur Brüstung.
Tatsächlich, da sind Spuren. Noch nicht zugeschneit.
Beunruhigt blicke ich mich um.
Irgendjemand ist noch in der Abtei.
Gil Alvarez und Lionel de Châtillon sind ins Tal hinabgestiegen … Ist es Adrian d’Ivrea, der mich beobachtet? Oder gibt es einen vierten Mann?
Wie es scheint, ist der halbe Johanniterorden hinter mir her.
Also zurück!
Ich schließe die Tür, schiebe mit einem Ruck den Riegel vor, und gehe die Wendeltreppe weiter hinunter. Schon bald sind die Stufen aus dem Fels herausgehauen. Ich habe die Fundamente der Abtei erreicht. Die steinernen Stufen sind noch feucht. Als habe jener vierte Mann den Schnee von den Stufen gefegt, um zumindest im Innern der Abtei keine Spuren zu hinterlassen. Sehr umsichtig. Und sehr gefährlich.
Da ist eine Tür. Ich schiebe sie
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