Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
liegt vor meinen Füßen. Ich steige über Diniz hinweg, ohne in der Blutlache auszurutschen, und hebe mein Schwert, um mich gegen Galcerán zu wehren.
»Wo ist das Mandylion?«
Ohne zu antworten, packe ich den Griff meines Schwertes mit beiden Händen und halte es über meinen Kopf, die Klinge leicht nach hinten geneigt. La Posta di Falcone – die Wacht des Falken heißt diese Stellung. Ein Hieb kann den Schwertarm des Gegners abtrennen. Oder seinen Kopf.
»Wo ist das Mandylion?« Galcerán knirscht mit den Zähnen.
»Ich habe es.«
Fluchend kommt er noch näher, bereit zum Kampf. Und dann …
Ein Knirschen lässt mich zusammenzucken.
Schritte im verharschten Schnee?
Jibril taucht aus den Schatten hinter Galcerán auf, das Schwert in der Hand, und …
Noch ein Tag …
Kapitel 43
Auf dem verschneiten Weg ins Tal
22. Dezember 1453
Kurz nach Mitternacht
Wieder ein Knirschen von Schritten auf dem gefrorenen Schnee. Dann ein leises Zischen.
Ein Bolzen saust nur wenige Fingerbreit an meinem Ohr vorbei und dringt mit einer solchen Wucht in die Bergkiefer vor mir, dass der Schnee von den zitternden Ästen und Zweigen rutscht.
Ich halte mich am Sattel fest und blicke zurück. Meine Lider brennen, als hätte ich Seife in die Augen bekommen.
Ein schwarzer Schatten kommt langsam näher. Er trägt eine Armbrust, die er gerade wieder lädt und spannt.
Ich kann mich gegen ihn nicht wehren!
Während der nächste Bolzen um Haaresbreite über mich hinwegzischt, schwinge ich mich in den Sattel, beuge mich tief über die Mähne und trabe los. Viel zu schnell pflügen wir durch den knietiefen Schnee. Völliger Irrsinn? Aber ja! Denn der schmale Saumpfad besteht nur noch aus einer niedergetrampelten Spur, die im Schneegestöber zwischen den tiefen Schneeverwehungen kaum noch auszumachen ist. Rechts ragen schemenhaft die Bäume aus dem Nebel, links bricht steil der Fels in die Tiefe.
Ein Fluch weht hinter mir her. Wenn ich nicht schon wieder unter Wahnvorstellungen leide, ist es eine türkische Verwünschung.
Die Panik raubt mir meine Gedanken, meinen Verstand, meine Reflexe. Nur weiter, trotz der Gefahr, einen Bolzen in den Rücken zu bekommen, und dem Risiko, auf dem eisglatten Pfad mit den engen Kurven auszugleiten und in den Abgrund zu stürzen.
Ich kann seine knirschenden Tritte im verharschten Schnee hören – der Yeniçeri folgt mir im Laufschritt. Und laufen können diese Jungs! Und schießen!
Mit eingezogenem Kopf beuge ich mich über den trabenden Hengst, die Schultern angespannt, die erfrorenen Hände in die Zügel verkrallt. Ein Gedanke beherrscht mich: Ich habe keine Chance! Mir bleibt nur die Flucht nach vorn, über diesen schmalen Pfad, ohne Sicht, ohne Hoffnung, dem Verderben entgegen.
Wieder saust ein Bolzen an mir vorbei. Der Yeniçeri scheint mir zu folgen. In diesem Augenblick springt der Hengst erschrocken zur Seite, wirft den Kopf hoch und wiehert panisch.
Ist er getroffen? Ich klopfe seinen Hals ab, kann jedoch keinen Bolzen und kein Blut entdecken. Er ist nicht verwundet. Wahrscheinlich ist er nur ausgerutscht.
Mit zusammengekniffenen Augen starre ich in das dichte Schneegestöber hinter mir: Der Yeniçeri ist stehen geblieben. Er spannt die Armbrust und lädt nach.
Schneller!
Ich treibe den Hengst an, lehne mich weit vor und galoppiere über den verschneiten Pfad, dessen Ränder sich in der Finsternis verlieren. Tannen, Fels und Schneeverwehungen fliegen an mir vorbei, über mir der weiße Himmel, neben mir der schwarze Höllenschlund.
Wie weit ist es noch bis ins Tal? Lionel sagte vorhin, der Abstieg dauere zu Fuß eine Stunde. Ich überschlage rasch: Also eine halbe Stunde im Sattel. Wenn es mir gelingt, ohne einen Bolzen im Rücken bis zur Templerkomturei zu gelangen, kann ich ihm entkommen. Und, wenn ich mich nicht hoffnungslos verirre, bis Aquila gelangen.
Eine Viertelstunde. Höchstens.
Ein rascher Blick über meine Schulter: Er ist immer noch da!
Dann geschieht es! In einer engen Kurve gleitet der Hengst aus, die Hufeisen rutschen über die gefrorenen Eisplatten auf dem unebenen Fels unter dem Schnee, und er gerät ins Stolpern. Er will stehen bleiben und stemmt die Beine in den aufwirbelnden Schnee, doch unser Gewicht trägt ihn weiter vorwärts. Ich zerre an den Zügeln, doch seine Beine verlieren den Halt. Wir schlittern über den Saumpfad, stürzen in den aufwirbelnden Schnee und rutschen in eine Schneeverwehung am Felsabhang.
Der Hengst schreit vor Angst. Und vor
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