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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Jibril, ich werde mich erinnern. Und wenn Yareds und Elijas Blut an deinen Händen klebt, dann gnade dir Gott der Allmächtige!
    Entschlossen wende ich mich ab und gehe den Gang entlang zur Krypta, wo der tote Yeniçeri liegt. Vielleicht finde ich in seinen Taschen einen Hinweis auf das Mandylion, das Mehmed zurückhaben wollte, eine Notiz, was dieses Mandil ist, eine Skizze, wie dieses Tuch aussieht, irgendetwas.
    Ich gehe um die Ecke – und bleibe erschrocken stehen.
    Der Yeniçeri ist verschwunden.
    Keine Leiche, kein Blut, kein Schwert.
    Hat Federico ihn weggeschafft?
    Ich betrete die Krypta und leuchte in alle Nischen. Nichts. Und hinter dem Altar? Auch nichts. Zurück in den Gang!
    Ich durchsuche alle Korridore und Krypten, leuchte in Grabnischen und spähe hinter Galceráns Katafalk.
    Keine Spur von dem toten Yeniçeri.
    Das kann doch nicht sein! War er überhaupt hier? Hat er an meinem Bett gesessen? Oder ist er nur ein Echo aus der Vergangenheit? Eine Erinnerung an etwas, das während meiner Flucht durch Byzanz geschehen ist? Kann ich Wahn und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden? Verliere ich allmählich den Verstand?
    Und Federico? Ist er nur eine Ausgeburt meiner panischen Angst?
    Die fünf Minuten sind längst um!
    Ich muss zu ihm!
    Ich verlasse die Krypta und hetze zu den Ruinen. Doch bevor ich den Geheimgang im eingestürzten Turm betrete, wage ich einen Blick ins Ossarium.
    Dort drüben, zwischen den Gebeinen, ist das aufgewühlte Grab! Hastig stapfe ich zwischen den Totenschädeln hindurch und bleibe erschrocken stehen. Das Grab sieht aus wie vorher: ein flacher Hügel aus dunkler Erde, deren aufgewühlte Brocken durch den niederrieselnden Schnee schimmern. Auf dem Grab liegen Knochen und Schädel.
    Die Holzkiste, die ich vorhin ausgegraben habe, ist verschwunden. Genau so wie die zerlegte Armbrust, der Köcher mit den Bolzen, der Dolch, die Goldmünzen, meine ganze Ausrüstung für die Flucht.
    Und der Siegelring mit dem Wappen der Colonna!
    Ich habe ihn fallen lassen, als ich den Dolch hob und mich zu dem Yeniçeri umdrehte.
    Ich suche ihn im Schnee zwischen den Gebeinen, kann ihn jedoch nirgendwo entdecken. Kein Ring, keine Kiste, keine Spuren im Schnee außer meinen eigenen.
    Ich tappe zu der Stelle, wo der Yeniçeri gestanden hat. Ich knie nieder und betrachte die Fußtritte zwischen den Knochen. Sind das meine eigenen Spuren?
    Das Gefühl der Verzweiflung wird übermächtig und treibt mir die Tränen in die Augen.
    Ich kann mir selbst nicht mehr trauen. Ich erinnere mich an Dinge, die nie geschehen sind.
    Habe ich in dem Augenblick, als ich glaubte, Konstantins abgeschlagenen Kopf in dem Haufen von Totenschädeln zu sehen, den Verstand verloren?

Kapitel 42
    Im Geheimgang unterhalb der Abtei
21. Dezember 1453
Viertel vor zwölf Uhr nachts
    Spinnweben, Staub und muffig feuchte Luft.
    Ich zünde die Altarkerze an, die ich aus der Krypta mitgenommen habe, und haste durch den Geheimgang hinunter zum Châtelet. Doch nirgendwo kann ich Schnee entdecken, der von Federicos Stiefeln gefallen sein könnte, als er zu den Ställen hinunterlief. Oder Wachs, das von einer Kerze getropft sein könnte. Nichts.
    Hat er einen anderen Weg genommen? Oder …
    Nein, nur nicht daran denken!
    Weiter! Da vorn hängen die Fledermäuse von der Decke. Ich ducke mich unter ihnen hindurch und renne weiter durch den Gang, bis ich die Abzweigung zum Vorratskeller erreiche.
    Der Schein einer Fackel!
    Keuchend bleibe ich stehen, lösche die Altarkerze und spähe in den Gang. Die Tür zum Vorratskeller ist nur angelehnt. Durch den Spalt dringt flackernder Lichtschein.
    Lautlos husche ich zur Tür und luge durch den Spalt.
    Prinz Jibril!
    Er lehnt am Weinfass und trinkt Rotwein aus einer Schöpfkelle.
    Mein Todesurteil scheint dir ja richtig nahezugehen!, denke ich verbittert.
    Leise ziehe ich mich zurück und gehe in den Geheimgang, der in dem kleinen Wäldchen hinter den Ställen endet.
    Schneegestöber und Wolfsgeheul.
    Ich sehe mich zwischen den Bäumen um, kann aber weder die Pferde entdecken noch Federico. Ich wende mich um zur Abtei. Mit ihren von Schneeflocken umwirbelten Türmen und von Kerzenlicht erleuchteten Fensternischen erinnert das düstere Gemäuer an ein verwunschenes Märchenschloss.
    Schwer atmend stapfe ich durch den tiefen verharschten Schnee und flüstere: »Federico?«
    Keine Antwort.
    Er wird auf der anderen Seite der Ställe auf mich warten – das rede ich mir ein.
    Aber ich höre kein Schnauben,

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