Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
das Fleisch in der Sauce zu schwenken.
»Lassen wir doch dieses Spiel aus Täuschungen und Lügen und stellen uns dem Kampf, Jibril, offen und ehrlich«, setze ich sofort nach. »Wieso trägst du eigentlich nicht deinen Habit? Du bist ein Johanniter, Prinz Jibril al-Assad … Bitte verzeih! … Fra Gil Alvarez. Du bist ein Mönchsritter, der Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt hat. Die Ordensregeln gebieten, dass du deinen schwarzen Habit mit dem weißen Kreuz niemals ablegst.«
So, jetzt ist es heraus!
Langsam und bedächtig wendet er sich zu mir um, stellt die heiße Kupferpfanne vor mich auf den Tisch und sieht mir in die Augen. Er wirkt traurig. Kein bisschen bedeppert. Oder verlegen. Nein, er wirkt bekümmert über meinen unerwarteten Angriff.
»Ich war Johanniter«, presst er hervor. Ich kann nicht anders, ich muss ihn für seine Selbstbeherrschung bewundern – ›der Löwe‹ lässt sich von mir nicht so einfach provozieren. »Ich habe meine Gelübde als Professritter um unserer Liebe willen gebrochen. Ich habe alles aufgegeben – um deinetwillen. Ich habe den Papst und den Großmeister um Dispens gebeten, damit ich den Orden verlassen und dich nach all den Jahren nach meinem Weggang aus Granada heiraten kann. Erinnerst du dich nicht mehr?«
Ich schlucke. Mit dieser Antwort habe ich nun wirklich nicht gerechnet.
»Ich war mit Cesare Orsini verheiratet. Wir haben in der Hagia Sophia geheiratet, am Abend vor der Eroberung.«
Er schüttelt langsam den Kopf. »Nein, mein Schatz. Cesare und du – ihr habt vor drei Jahren in Rom geheiratet, nachdem du nach Yareds und Elijas Tod aus Granada zurückgekehrt warst. Der Papst hat euch beide in San Pietro getraut.«
»Nein …«, flüstere ich.
»Aber ja. Cesare fiel bei der Verteidigung von Konstantinopolis. Eine von Mehmeds Kanonen zerfetzte ihn. Du hast drei Schritte entfernt gestanden und alles mitangesehen. Du warst bedeckt von seinem Blut. Du bist zusammengebrochen.«
»Nein …«
»Du und ich, wir haben am Vorabend der Entscheidungsschlacht geheiratet. Kardinal Isidor, der Legat des Papstes, hat uns in der Hagia Sophia getraut. Erinnerst du dich denn nicht mehr? Dein Schwager, Kaiser Konstantin, war unser Trauzeuge.«
Ich schüttele schwach den Kopf.
Er lügt. Jibril lügt, ganz sicher.
Ich weiß nur nicht, was die Lüge ist. Dass er sich um mich sorgt? Dass er mich liebt? Dass wir verheiratet sind?
»Ich bin dein Gemahl«, sagt er beschwörend. »Nach Niketas, Yared und Cesare hast du mich geheiratet. Ich bin dein vierter …«
»Nein.«
Jibril atmet tief durch. Seine Lippen sind verkniffen, und seine Wangenknochen treten hervor, als knirsche er mit den Zähnen.
»Ich erinnere mich, dass Konstantin den Mann, der mich heiratete, mit Euer Gnaden anredete. An sein Gesicht erinnere ich mich nicht. Aber das war Cesares Titel, und …«
»… und jetzt ist es meiner«, fällt er mir ins Wort. »Durch meine Heirat mit dir bin ich Fürst des Kirchenstaates und Stellvertreter Seiner Heiligkeit des Papstes.«
Ich schlucke.
»Soll das ein Witz sein? Ich finde ihn nicht zum Lachen.«
Er stöhnt auf und verdreht die Augen. »Was ist denn plötzlich in dich gefahren? Als dein Gemahl bin ich Conte des Patri…«
»Nur über meine Leiche.«
Verzweifelt schüttelt Jibril den Kopf. Und als ich ihn dann auch noch sehr resolut wegen meines Grabes in der Krypta der Abteikirche und der Gedenktafel für die Contessa Alessandra Colonna Orsini zur Rede stelle, sieht er mich an, als ob ich den Verstand verloren hätte.
»Da ist kein Grab«, sagt er leise.
»Wie war das?«, fauche ich ihn an.
»Da ist kein …«
»Ich hab es doch gesehen!«
»Wann?«, fragt er lauernd.
»Letzte Nacht.«
»Da hast du in meinen Armen geschlafen. Wie eine Besessene hast du dich im Bett hin und her geworfen und geschrien. Du hattest schreckliche Träume. Ich habe dich festgehalten, damit du dich nicht selbst verletzt, und …«
Ich springe auf.
»He, warte! Wo willst du hin?«
Kapitel 52
Auf der Treppe zu den Krypten der Abteikirche
22. Dezember 1453
Viertel vor acht Uhr morgens
Wie würdest du reagieren, wenn man dir alles wegnimmt, sogar deine Identität? Wenn dein ganzes Leben nur noch ein Haufen Scherben ist, die nicht mehr zusammenpassen?
Jibril folgt mir die Treppe hinunter zur Krypta, wo Galcerán …
Ich bleibe so unvermittelt stehen, dass er mich fast umrennt. Galceráns Leichnam ist verschwunden. Kein geschmückter Katafalk, keine brennenden Altarkerzen für
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