Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
ich nach den Halsschlagadern und den Nervensträngen zum Gehirn und drücke entschlossen zu.
Keuchend schlägt Jibril um sich, dann erstarren seine Augen wie die eines Sterbenden, und er sinkt leblos auf den Boden.
Ich stecke eine Hand unter sein offenes Hemd und fühle seinen Herzschlag. Dann stecke ich den Dolch ein und steige über ihn hinweg.
Ich muss Gewissheit haben. Und wenn das bedeutet, dass ich wirklich den Verstand verliere …
Kapitel 53
Auf der Treppe zu den Krypten der Abteikirche
22. Dezember 1453
Kurz vor acht Uhr morgens
Ich haste die Treppe hinauf in die Kirche.
Die Blutspur, die durch das Seitenschiff zum Glockenturm führt, ist verschwunden. Und der Altarraum … Ich spähe zwischen den Säulen hindurch zur Chorapsis. Sie ist aufgeräumt.
Nichts erinnert mehr an meinen Kampf mit Galcerán.
Weiter!
Ich hetze die Stufen hinunter, kann jedoch auch hier keine Blutspritzer entdecken, wo ich dem Yeniçeri mit einem Tritt die Nase gebrochen habe. Am Ende der Wendeltreppe stoße ich die Tür auf und trete hinaus in den Schnee. Eiskristalle wirbeln durch die kalte Luft und stechen mir in die Augen, sodass ich blinzeln muss.
Mit gesenktem Kopf haste ich durch den verharschten Schnee hinüber zur Einsiedlergrotte und achte dabei auf Fußstapfen – meine oder Federicos oder Murats. Doch es gibt keine Spuren mehr. In der Nacht hat es in dicken Flocken geschneit, und der Schnee hat alles zugedeckt.
Die Tür zur Grotte ist fest verschlossen.
Ich trete drei Schritte zurück und werfe mich mit Schwung dagegen – vergeblich. Auch ein Tritt gegen das rostige Schloss kann sie nicht öffnen. Sie ist offenbar am Boden festgefroren.
Ich knie mich in die Schneeverwehung, die wie eine Woge an der niedrigen Tür hochschwappt, und fege mit beiden Händen den Schnee zur Seite. Zwischen dem Felsuntergrund und der aufgequollenen Holztür hat sich eine dicke Schicht Eis gebildet.
Ich setze mich auf meine Fersen und wische mir die Eiskristalle aus der Stirn. Wie es scheint, ist die vereiste Tür seit dem letzten Tauwetter zu Beginn des Winters nicht geöffnet worden.
Wie vom Skorpion gestochen springe ich auf … und muss mich an der Bruchsteinwand der Grotte festhalten, sonst wäre ich gleich wieder in den Schnee gestürzt. Mir ist schwindelig, und ich habe Kopfschmerzen. Und meine Knie zittern, als ich jetzt durch den gefrorenen Tiefschnee zu den Ruinen hinüberstapfe.
Da ist der Torbogen, der ins eingestürzte Ossarium führt.
Unter dem Schnee sind die verstreuten Gebeine der Mönche nur zu erahnen. Keine Spuren, kein durch Knochen und Totenschädel markierter Grabhügel.
Ich atme tief durch, und eine weiße Wolke hüllt mich ein.
Vorsichtig gehe ich zwischen den Gebeinen hindurch zu der Stelle, wo zuvor das Notfallversteck lag, und beginne zu graben. Knochensplitter. Steinsplitt. Erde. Sonst nichts.
Ich krieche einige Ellen weiter und pflüge mit Jibrils Dolch durch die gefrorene schwarze Erde zwischen den Gebeinen.
Aber auch dort ist keine Holzkiste.
Und die zerlegte Armbrust mit dem Köcher voller Bolzen? Und der Beutel voller Goldmünzen? Und mein Siegelring?
Nichts! Nichts habe ich mehr, um mir selbst zu beweisen, dass ich das alles nicht geträumt habe. Die Armbrust hat der Yeniçeri. Während meiner Flucht hat er damit auf mich geschossen. Und die Goldmünzen und den Dolch hatte Federico in seiner Tasche, als ich ihn fand. Er hatte meine Ausrüstung für die Flucht geholt, hatte das Notfallversteck wieder zugeschüttet und war zum Stall geeilt, um die Pferde zu satteln, bevor ich wie verabredet fünf Minuten später mit meinem Notizbuch auftauche.
Mit dem Fuß scharre ich Schnee über den aufgewühlten Boden, dann hetze ich zur Turmruine, reiße die Tür zum Geheimgang auf und suche in meiner Zunderdose nach dem Kerzenstummel, den ich immer bei mir trage.
Er ist nicht da.
Ich stutze. Wo habe ich den denn verloren? Und wann?
Keine Ahnung. Na, egal. Also nicht durch den finsteren Geheimgang. Ich verlasse die Turmruine und gehe zur Wehrmauer hinüber, um in den Abgrund zu spähen. Verschneite Felsen und Gestrüpp. Und etliche Ellen tiefer der Wald, der die Abtei umgibt.
Entschlossen schwinge ich meine Beine über die Mauerbrüstung, springe in die Schneeverwehung auf dem Felshang, rutsche durch die niedrigen Gehölze hindurch und den Abhang hinunter zu einem Wehrgang. Er ersteckt sich von der Turmruine bis zu dem verwilderten Gärtchen unterhalb des Glockenturms.
Kurz darauf erreiche ich
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