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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Verdächtigen macht. Für den Fall, dass Sie es vergessen haben – in Argentinien steht auf Mord die Todesstrafe.»
    Anna warf einen Blick auf das Gaucho-Messer, dann nickte sie.
    Ich ging zur Tür und schaltete das Licht aus. Sie folgte mir nach draußen. Am Tor bat ich sie, kurz zu warten. Ich rannte zum Rand des Norddocks und schleuderte das Messer hinaus in den Río de la Plata, so weit ich konnte. Als ich hörte, wie das Messer platschend im Wasser landete, fühlte ich mich besser. Ich habe oft genug mit angesehen, was Staatsanwälte mit derartigen Beweisstücken anzufangen vermögen.
    Zusammen gingen wir zum Bahnhofsvorplatz zurück, wo ich meinen Wagen geparkt hatte. Die Sonne ging bereits auf. Für jeden dämmerte ein neuer Tag mit Ausnahme des Zahnlosen, der jetzt tot auf dem Boden des Hotel de Inmigrantes lag. Ich war sehr müde. Es war eine lange Nacht gewesen, in jeder Hinsicht.
    «Verraten Sie mir etwas», sagte sie. «Passiert Ihnen so etwas häufiger, Herr   … Wie sagten Sie noch, war ihr richtiger Name?»
    «Gunther. Bernhard Gunther. Sie sagen das so, als wären Sie nicht dabei gewesen, Anna.»
    «Ich darf Ihnen versichern, dass ich diesen Abend so schnell nicht vergessen werde. Ganz bestimmt nicht.» Sie blieb stehen, dann beugte sie sich vor und übergab sich.
    Ich reichte ihr mein Taschentuch. Sie wischte sich den Mund ab und atmete tief durch.
    «Besser jetzt?», fragte ich.
    Sie nickte. Wir erreichten meinen Wagen und stiegen ein.
    «Das war vielleicht ein Rendezvous», sagte sie. «Was halten Sie davon, wenn wir beim nächsten Mal einfach ins Theater gehen?»
    «Ich fahre Sie heim», sagte ich.
    Anna schüttelte den Kopf und kurbelte das Fenster herunter. «Nein. Ich kann nicht nach Hause. Noch nicht. Nicht so, wie ich mich jetzt fühle. Und nach dem, was passiert ist, will ich nicht allein sein. Lassen Sie uns noch eine Weile hierbleiben. Ich möchte einfach nur dasitzen.»
    Ich schenkte ihr etwas von dem Kaffee ein, den sie mitgebracht hatte. Sie trank ihn und sah mir anschließend dabei zu, wie ich eine Zigarette rauchte.
    «Was denn?»
    «Keine zitternden Hände. Keine nervösen Lippen. Keine tiefen Züge. Sie rauchen, als wäre überhaupt nichts passiert. Wie skrupellos sind Sie, Herr Gunther?»
    «Ich bin immer noch hier, Anna. Ich denke, das spricht für sich.»
    Ich beugte mich zu ihr hinüber und küsste sie. Sie schien es zu mögen. Dann sagte ich: «Verraten Sie mir, wo Sie wohnen, und ich fahre Sie nach Hause. Sie waren die ganze Nacht weg. Ihr Vater macht sich bestimmt Sorgen um Sie.»
    «Sie sind doch nicht ganz so skrupellos, wie ich dachte.»
    «Darauf sollten Sie lieber nicht wetten.»
    Ich startete den Motor.
    «So», sagte sie. «Sie wollen mich also tatsächlich nach Hause fahren. Das ist eine Überraschung. Vielleicht sind Sie ja doch ein Heiliger.»
    Sie hatte natürlich recht. Tatsache war, ich wollte ihr beweisen, wie makellos und glänzend meine Rüstung war. Ich fuhr zügig und ohne Umwege. Ich wollte sie zu Hause absetzen, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Edelmut ist keine meiner herausragenden Eigenschaften, und was Anna Yagubsky betraf, musste ich mich schwer zurückhalten.

VIERZEHN
BERLIN
1933
UND BUENOS AIRES
1950
    Zunächst bemerkten wir den strengen Brandgeruch. Dann hörten wir die Löschzüge und die Krankenwagen aus der Artilleriestraße. Frieda verließ das Hotel durch den Haupteingang, um nachzusehen, was los war, und traf auf eine aufgeregte Menschenmenge, die über den Pariser Platz nach Nordwesten strömte. Über den Dächern der französischen Botschaft war der Nachthimmel hell und rot wie in einer offenen Hochofentür.
    «Es ist der Reichstag», sagte Frieda, als sie wieder zurück war. «Der Reichstag steht in Flammen.»
    Wir wollten die Treppen hinauf, um vom Dach aus besser sehen zu können, doch in der Halle begegnete ich Louis Adlon. Ich informierte ihn, dass der Reichstag brannte. Es war kurz nach zehn Uhr abends.
    «Ja, ich weiß.» Er zog mich zur Seite, um etwas zu sagen, doch dann überlegte er es sich offenbar anders und führte mich in das Büro des Direktors. Er schloss die Tür. «Ich möchte, dass Sie etwas für mich tun. Es könnte allerdings gefährlich werden.»
    Ich zuckte gleichmütig die Schultern.
    «Wissen Sie, wo die chinesische Botschaft ist?»
    «Ja, am Kurfürstendamm. Neben dem Nelson-Theater.»
    «Ich möchte, dass Sie für mich zur chinesischen Botschaft fahren. Nehmen Sie den Wäschereiwagen.» Louis Adlon

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