Das letzte Experiment
natürlich, er war als Privatpatient außerhalb der gewöhnlichen Sprechstunden dort gewesen, wenn sonst niemand mehr da war, der ihn sehen konnte.
Ich umrundete die aus Natursteinquadern gemauerte Ecke des Gebäudes und blieb unterhalb des Badezimmers der Goebbels’-schen Wohnung stehen. Das Fenster stand einen Spaltbreit offen. Ich warf einen Blick über die Schulter. Der Wagen mit den S A-Männern und der Laster waren außer Sicht. Ich sah hinauf zu demMilchglasfenster. Wenn ich den Fuß auf den Natursteinsockel stellte, der das gesamte Erdgeschoss umlief, dann würde ich mich an der Mauer hochziehen und das Fenster erreichen können. Ich unternahm einen Versuch, stellte fest, dass sich niemand im Bad befand, und sprang zurück auf den Bordstein. Ich wartete einige Sekunden. Keine S A-Männer kamen herbeigerannt, um mich zu verprügeln. So viel zur Sicherheit.
Ich unternahm einen zweiten Versuch. Diesmal zog ich mich ganz zum Fenster hinauf und ließ mich bäuchlings langsam über das Fensterbrett in das Badezimmer gleiten. Schwer atmend saß ich auf der Toilette, und während ich abwartete, ob mein Eindringen bemerkt worden war, untersuchte ich das Fenster eingehender und stellte fest, dass der untere Riegel herausgebrochen war. Selbst wenn das Fenster verschlossen war, würde es sich also relativ mühelos von außen öffnen lassen.
Es war ein großes Badezimmer, ringsum rosafarben gefliest, mit einem großen runden Waschbecken auf einem Sockel. Auf der Badematte lag reichlich Talkumpuder. Die Einbaubadewanne war breit und tief und mit einer Handbrause ausgestattet für den Fall, dass Magda sich die Haare waschen wollte. Neben der Seifenschale hing ein Bild von Adolf Hitler, damit der treue Joseph seinen Führer selbst auf dem Lokus anhimmeln konnte. Neben der Badewanne gab es einen Hocker mit einem Stapel flauschiger Handtücher und daneben einen passenden kleinen Tisch mit einem Luffaschwamm und einer antiquarischen Statuette einer nackten Dame. Über dem Tisch hing ein großer verspiegelter Badezimmerschrank, den ich – natürlich – öffnete. Die meisten Regale hatte Magda für sich in Beschlag genommen. Sie benutzte Joy als Parfum, dazu Kortex, Nivea, Wella-Shampoo, Wellapon, Kolestral und Blondor. Jetzt erinnerte ich mich auch wieder, wie sie aussah. Ich erinnerte mich an die Fotos von ihrer Hochzeit in den Magazinen. Eine Winterhochzeit. Das glücklich lächelnde Paar Arm in Arm im Schnee, begleitet von mehreren S A-Männern – wahrscheinlich den gedankenlosen Trotteln,die draußen vor dem Eingang im Wagen saßen. – Und Hitler selbst war dabei gewesen. Ich fragte mich, was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass Magda Quandts wunderschönes, arisch blondes Haar in Wirklichkeit gefärbt war?
Goebbels hatte nur ein einziges Regal im Schrank zur Verfügung, und so unwahrscheinlich es auch sein mochte, wir hatten am Ende doch eine Gemeinsamkeit. Goebbels rasierte sich mit einem Schick Injector, er benutzte Mengen Rasiercreme und putzte sich die Zähne mit Colgate-Zahnpasta. Eine Flasche Anzorah-Haarcreme war für seine stets perfekt sitzende Frisur zuständig. Dann fand ich, wonach ich gesucht hatte. Zwischen einer Packung Abführmittel und einer Flasche Aqua di Parma Eau de Cologne stand eine kleine Medikamentenflasche mit blauen Pillen. Ich schraubte den Deckel auf und ließ eine Pille in meine Hand gleiten. Sie war von der gleichen Art wie die, die ich am Morgen in Kassners Büro gesehen hatte. Prontosil. Ich beschloss, genug gesehen zu haben und von hier zu verschwinden.
Doch nicht, ohne vorher Goebbels’ Klo zu benutzen. Hinterher nicht abzuziehen war mein Dankeschön an ihn für das, was er in seiner Zeitung über mich geschrieben hatte.
Ich kletterte aus dem Fenster, kehrte zu meinem Wagen zurück und stieg ein. In Deutschland gab es ein paar Themen, über die man nicht sprach. Joseph Goebbels’ Schanker gehörte zu diesen Themen, daran zweifelte ich nicht eine Sekunde.
Es gab neun Inspektionen am Alex. Inspektion A war zuständig für Mord, C für Diebstahl. Gunther Braschwitz war der Direktor von C und auf Einbruch spezialisiert. Er hatte einen jüngeren Bruder, Rudolf, der bei der Politischen Polizei war, doch das nahmen wir ihm nicht übel. Braschwitz war so elegant wie ein kleiner Finger und trank nur Champagner. Er trug einen Boiler und einen Gehstock mit einem Degen darin, den er hin und wieder auch benutzte, und im Winter Gamaschen über seinen Stiefeln. Er kannte
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