Das letzte Experiment
Charakter demonstrieren müssen.»
«Ja.»
«Sie sind ein respektabler Mann, Dr. Vaernet. Das sieht jeder sofort. Ich denke nicht, dass es ein Problem damit geben wird, Ihnen ein polizeiliches Führungszeugnis auszustellen, absolut kein Problem. Allerdings …»
«Ja?»
«Wie soll ich sagen, Herr Doktor? Aber gerade weil Sie Arzt sind … Sie werden sicherlich verstehen, warum ich diese Fragen stellen muss. Gibt es den einen oder anderen unter den alten Kameraden hier in Argentinien, von dem Sie glauben, dass er vielleicht kein Führungszeugnis verdient hätte? Jemanden, der Argentinien möglicherweise in einem schlechten Licht dastehen lassen würde?»
«Das ist eine interessante Frage», sagte Vaernet.
«Ich weiß, und ich stelle sie wirklich nur sehr ungern. Wir sitzen schließlich alle mehr oder weniger im selben Boot, nicht wahr? Aber manchmal müssen wir diese Fragen stellen, ob es uns gefällt oder nicht. Wie sollen wir sonst einen Mann beurteilen, wenn wir nicht auf das hören, was uns andere über ihn sagen?» Ich zucktedie Schultern. «Also, wenn es jemanden gibt, der sich in Ihren Augen ein Fehlverhalten hat zuschulden kommen lassen, hier in Argentinien oder auch früher in Europa. Während des Krieges vielleicht.»
«Nein, nein, Sie müssen diese Fragen stellen, Herr Hausner, und ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen. Nun denn, lassen Sie mich kurz überlegen …» Er trank von seinem Tee und überlegte einen Augenblick. «Ja», sagte er schließlich. «Es gibt da einen Kerl namens Eisenstedt. Wilhelm von Eisenstedt, ein S S-Hauptmann in Buchenwald. Er wohnt in einem Haus an der Monasterio und nennt sich heute Fernando Eifler. Er lässt sich gehen. Er trinkt zu viel. In Buchenwald war er gefürchtet, ein sadistischer Scherge.»
Ich versuchte mein Grinsen zu unterdrücken. Eifler war der Mann im Pyjama gewesen, mit dem ich bei meiner Ankunft in Argentinien in demselben Versteck in der Monasterio untergebracht worden war. Sein richtiger Name lautete also Wilhelm von Eisenstedt.
«Und ja, dann wäre da noch ein Mann namens Pedro Olmos. Sein richtiger Name lautet Kutschmann, Walter Kutschmann, und er ist ebenfalls ein ehemaliger S S-Hauptmann . Kutschmann ist ein Mörder, wie man es auch dreht und wendet. Er hatte Spaß am Töten um des Tötens willen.»
Vaernet schilderte Einzelheiten über Kutschmanns Aktivitäten während des Krieges.
«Ich glaube, er arbeitet heute bei Osram Südamerika, der Glühlampenfirma. Ich kann nicht sagen, was für ein Mensch er heute ist. Doch seine Frau, Geralda, verhält sich meiner Meinung nach alles andere als einwandfrei. Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt damit, dass sie streunende Hunde vergast. Ist das zu fassen? Was muss das für eine Frau sein, die arme, unschuldige Tiere vergast, um damit Geld zu verdienen!»
Ich hätte eine Antwort gewusst, doch er hätte sie wahrscheinlich nicht verstanden.
Ich machte mich auf den Weg, um Kutschmann alias Pedro Olmos samt Ehefrau einen Besuch abzustatten. Die beiden wohnten in einem Randbezirk von Buenos Aires in der Nähe der Fabrik, in der Olmos arbeitete. Er war jünger, als ich ihn mir vorgestellt hatte – nicht älter als fünfunddreißig, was bedeutete, dass er Mitte zwanzig gewesen sein musste, als er Gestapo-Hauptmann in Paris gewesen war. Er war im Jahr 1932, als Anita Schwarz ermordet wurde, erst achtzehn Jahre alt und, wie ich annahm, eigentlich zu jung, um als Täter in Frage zu kommen. Trotzdem, man konnte nie wissen.
Pedro Olmos stammte aus Dresden. Er hatte Geralda in Buenos Aires kennengelernt und geheiratet. Die beiden hatten mehrere Hunde und Katzen und keine Kinder. Sie waren ein attraktives Paar. Geralda sprach kein Deutsch, weswegen Pedro mir während unseres Gesprächs ohne Weiteres erzählte, dass ihn während seiner Stationierung in Paris mit Coco Chanel mehr als nur Freundschaft verbunden habe. Er benahm sich auf jeden Fall sehr souverän. Er sprach ausgezeichnet Spanisch, Französisch sowie ein wenig Polnisch, was seinen Worten nach der Grund war, weshalb er in der Reiseabteilung von Osram arbeitete. Sowohl er als auch Geralda waren aufgebracht wegen der Unmenge an streunenden Hunden in der Stadt, und sie hatten eine Genehmigung von den Behörden, die Tiere einzufangen und zu vergasen. Es erschien mir als eine ungewöhnliche Beschäftigung für eine Frau, die sich selbst als Tierfreundin beschrieb. Sie nahm mich sogar mit in den Keller und zeigte mir die Tötungseinrichtung,
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