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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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eine förmliche Verbeugung in Richtung der beiden Mädchen. Es war ein großer Kerl mit kurz geschorenem Schädel und verwitterten Gesichtszügen. Trotzdem schätzte ihn Anna auf kaum älter als fünfzig. »Anton Kramer, stets zu Diensten – und ihr seid wohl die Frischlinge, watt?«
    Die Mädchen nickten.
    »Inge«, brüllte er, »zweimal heiße Schokolade für die jungen Damen hier.« Dann zwinkerte er den Mädchen verschwörerisch zu. »Ihr habt doch sicher nüscht dagegen, wenn der alte Anton noch sein Spielchen fertigmacht? Hab nämlich gerade ’ne Glückssträhne.«
    »Von wegen Glückssträhne«, krähte das verhutzelte Kerlchen aus der Ecke. »Ein stinkiger Falschspieler bist du, Anton Kramer.«
    Anton reckte den rechten Arm empor. Erst jetzt sahen die Mädchen, dass er unterhalb des Ellenbogens in einem Stumpf endete.
    »Wie soll denn ein Einarmiger beim Kartenspiel schummeln«, fragte er treuherzig.
    Es war bereits kurz vor sieben, als sie endlich aufbrachen. Anton führte sie hinters Haus, wo ein Holsteiner Pferd geduldig vor einer Kutsche stand.
    »Benzinrationierung«, erklärte er. »Zum Glück läuft unser Brauner hier auch ohne Sprit.«
    Eine halbe Stunde später kamen sie an einem imposanten, schmiedeeisernen Tor an, das in eine hohe Ziegelmauer eingelassen war.
    »Meine Damen, willkommen auf Schloss Eichenhof«, sagte Anton mit Grandezza.
    Als die beiden Mädchen die Empfangshalle des ehemaligen Klosters betraten, eilte ihnen eine kräftige Frau um die fünfzig entgegen. Sie trug einen adretten weißen Kittel, der sich über ihrem gewaltigen Busen spannte. Die kurzen Ärmel schnitten in ihre fleischigen Oberarme.
    »Achtung, Bulldogge«, zischte Anna Line aus dem Mundwinkel zu. Line kicherte.
    »Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt, Fräulein. Sie kommen ganze vier Stunden zu spät.«
    »Der Zug hatte leider Verspätung«, erwiderte Line lammfromm und knickste. Aus ihren großen blauen Augen sah sie die Frau treuherzig an.
    »Na gut«, sagte das Bulldoggengesicht säuerlich. »Ich bin Schwester Helena.«
    Ausgerechnet Helena, dachte Anna. Von wegen schöne Helena. So ein Name bei einem solchen Gesicht ist eine echte Strafe.
    »Caroline Müller?«
    »Jawohl, Schwester«, sagte Line und knickste erneut.
    »Dann sind Sie Anna Florin?«
    »Ganz recht«, sagte Anna.
    »Die Tochter von Obersturmbannführer Richard Florin?«
    Anna schluckte. »Ja«, sagte sie ruhig. »Das ist mein Vater.«
    Die Bulldogge lächelte huldvoll.
    »Dann ab mit euch, Mädels. Die anderen sitzen schon beim Abendessen. Anton, zeige den jungen Damen rasch ihr Quartier.«
    Anton, der neben der Tür mit dem Gepäck gewartet hatte, ergriff die Koffer. »Aber mit dem größten Vergnügen, Gnädigste«, sagte er im allerschönsten Hochdeutsch. Er stieg vor den beiden Mädchen die Treppe ins Obergeschoss hinauf. »Das Töchterchen vom Herrn Obersturmbannführer also«, murmelte er. Anna blieb auf dem Treppenabsatz stehen.
    »Kann schon sein. Aber ich bin jedenfalls nicht bei der SS«, sagte sie laut.
    »Freut mich zu hören, Frolleinchen«, sagte Anton und kniff sie ins Kinn. »Aber lass das mal nich die olle Schrapnelle hören. Dat is n falscher Fuffziger. Nehmt euch vor der in Acht, Deerns. Ich schwöre, das Weibsbild hat sogar Augen im Hinterschädel.«
    Kurz darauf saßen Anna und Line gemeinsam mit dem übrigen »niederen Personal«, wie Anton es umschrieb, an einem großen Holztisch. »Die feinen Herren Doktoren essen separat«, sagte er und zwinkerte den Mädchen vielsagend zu.
    Dem hohen Raum war seine einstige Funktion als Refektorium des Klosters noch anzusehen. Das Kreuzgewölbe aus dem 16.  Jahrhundert und die großen Bogenfenster gaben dem Raum eine lichte, kontemplative Atmosphäre. Anna verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und stellte sich vor, wie hier einst die Nonnen zu Tisch saßen. Allerdings war unwahrscheinlich, dass die ehrwürdigen Frauen hier so viel Lärm gemacht hatten wie nun das Pflege- und Hilfspersonal. Es waren insgesamt sechzehn Personen, zählte Anna, die gemeinsam an einer langen Tafel saßen, jeder einen Teller mit matschigem Eintopf vor sich.
    Schmeckt besser, als es aussieht, dachte sie. Sogar ein paar Brocken Fleisch hatte sie unter den Kohlblättern entdeckt.
    Außer Anton, der offenbar als eine Art Hausmeister fungierte, gab es nur noch einen einzigen Mann am Tisch. Er war groß und kräftig, ließ aber die Schultern hängen, als wolle er sich kleiner machen. Seine Augen waren sehr

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