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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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war geschlossen. Rosenmair schlenderte durch die Körtestraße zurück
Richtung U-Bahn und blieb plötzlich stehen. Ein Ladenschild war ihm
aufgefallen, im ersten Moment hatte er »Buhhandlung« gelesen. Er überlegte schon,
was einen dort wohl erwarten würde, als er durch ein recht eigenwillig
dekoriertes Fenster auf Bücher blickte. Auf Unmengen von Büchern. Vorn in der
Auslage lagen die aktuellen, das war so wie bei anderen Buchhandlungen, aber
dahinter türmten sich Buchberge in schwindelerregende Höhen. Rosenmair war
spontan begeistert und betrat den kleinen engen Laden.
    Zunächst konnte er niemanden erkennen. Der L-förmige Tresen war
turmhoch und offenbar systematisch mit Buchstapeln zugebaut. Links war noch
eine Tür, die nur angelehnt war, aber anscheinend ging es dort in Privaträume.
Rosenmair wollte sich gerade bemerkbar machen, als er plötzlich klar und
deutlich eine Stimme hörte. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Er sah sich um, doch er konnte nichts entdecken. Dann hörte er ein
Quietschen, und ein Mann stand vor ihm. Er hatte einfach eine Klappe, die
Rosenmaier vorher gar nicht aufgefallen war, geöffnet.
    »Suchen Sie etwas Bestimmtes?« Der Buchhändler sah ihn freundlich
und interessiert an. Rosenmair war überrumpelt von so viel Sympathie.
    »Ja, äh, ich weiß nicht. Ich bin eher zufällig reingekommen, als ich
Ihren Laden gesehen habe …«
    Der Mann nickte, als würde ihm das dauernd passieren. »Was lesen Sie
denn gern?«
    Das ist eine gute Frage, dachte Rosenmair, der zwar immer und
ständig las, aber jetzt gerade keine Antwort parat hatte. So einfach war das
schließlich auch nicht zu beantworten.
    »Na gut, formulieren wir es so: Was bringt Sie dazu, ein Buch zu
kaufen?«
    Rosenmair überlegte. »Na ja, Langeweile, Neugier, eine Empfehlung,
gute Kritiken, schlechte Kritiken …«
    Der Mann lächelte vielsagend und nickte.
    Rosenmair fuhr fort. »Das Buchcover. Das ist manchmal sogar das
Einzige, jedenfalls das Erste, was mich anspricht. Der Klappentext. Und das
Schriftbild. Blöde Schriften gehen gar nicht.«
    Der Mann nickte langsam. »Stimmt alles. Aber es fehlt noch etwas,
und ich sage es Ihnen: der erste Satz.«
    Rosenmair war verblüfft. Da hätte er tatsächlich auch selbst drauf
kommen können. Der Mann hatte natürlich vollkommen recht. Nur: Wo war er denn
jetzt überhaupt?
    Im nächsten Moment kam der Buchhändler aus einer ganz anderen Ecke
des Ladens herbei, einen Stapel Bücher vor sich hertragend. Rosenmair hätte
schwören können, dass er eben noch auf der anderen Seite gewesen war.
    Der Mann klappte ein Buch auf. »Mögen Sie Krimis?«
    Rosenmair verzog den Mund.
    Der Mann lächelte und meinte: »Warten Sie’s ab.« Dann las er: »›Jim
wäre nie zu Thursgood gekommen, wenn den alten Major Dover beim Taunton-Rennen
nicht der Schlag getroffen hätte.‹«
    Er legte das Buch weg und klappte das nächste auf. »›Es ist nicht
allgemein bekannt, wie ich den alten Philip Mathers umgebracht habe; ich
zerschmetterte ihm die Kinnlade mit meinem Spaten.‹«
    Rosenmair machte ein Gesicht, als habe ihn der Spaten getroffen.
Doch der Mann hob die Hand und bedeutete ihm, sich noch zu gedulden.
    Er las aus dem nächsten Buch. »›Kimmo Joentaa lebte mit einer Frau
ohne Namen in einem Herbst ohne Regen.‹« Er ließ das Buch sinken, sah Rosenmair
an und lächelte. Der Satz hatte seine Wirkung getan.
    Rosenmair kaufte das Buch des in Finnland lebenden deutschen Autors,
von dem er noch nie gehört hatte, und bedankte sich. Der Buchhändler gab ihm
die Hand, öffnete die Tür und meinte: »Eigentlich ist meine Spezialität die
amerikanische Gegenwartsliteratur. Kommen Sie ruhig wieder, wenn Sie neue erste
Sätze brauchen.« Rosenmair dankte ihm und fragte im Weggehen: »Wie heißen Sie
eigentlich?« Der Buchhändler lächelte und meinte: »Manche hier nennen mich den
wilden Ludwig.« Dann schloss er die Tür wieder.
    Nach einem grandiosen Abendessen mit noch besserem Wiener
Schnitzel bei einem absolut urigen Österreicher in Kreuzberg, den Rosenmair
tatsächlich von dem Buchhändler empfohlen bekommen hatte, fuhren Marlene und er
zurück zum Potsdamer Platz in Marlenes Hotel.
    Das Hotel pflegte Understatement, nicht mal die Lobby war wirklich
als solche zu erkennen. Sie fuhren in das Appartement von der Größe einer
mittleren Loftwohnung, und Rosenmair bekam eines der beiden Schlafzimmer
zugewiesen. Während Marlene im Bad war, öffnete Rosenmair die Flasche besten
Pfälzer Rotweins,

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