Das letzte Hemd
konnte, war sie schon aus der Tür,
ihm blieb nur ein ungehörtes »Aber warum muss ich dann dahin?«, das J.P. eher desinteressiert mit einem Schulterzucken
kommentierte. Er begann, an der gewaltigen Kaffeemaschine zu hantieren, während
sich Rosenmair auf den Weg in die Küche machte und auf einen groben Holzklotz
setzte, der als Schemel diente, sein Lieblingsplatz in der »Pulvermühle«. Als J.P. ihm eine Schale mit heißem Milchkaffee hinstellte,
nickte er dankbar.
J.P. sah ihn erwartungsvoll an, aber
Rosenmair war in Gedanken noch bei Catherines Bemerkung. »Wie war eigentlich
eure Hochzeit?«, fragte er schließlich zwischen zwei Schlucken.
J.P. lächelte versonnen und trank
selbst, bevor er antwortete. »Traumhaft, toll, romantisch, magnifique – ja, und auch kitschig. Aber in erträglichem Maße.« Er lächelte immer noch
ganz glücklich. »Catherines Schwestern hatten sich hauptsächlich um die
Vorbereitungen gekümmert. Sie kommt aus einem ganz kleinen Ort am
St.-Lorenz-Strom, Tadoussac, von da fahren viele Touristenboote zum sogenannten
Whalewatching raus aufs Meer, um die Tiere zu beobachten und vor allem zu
fotografieren. Ist allerdings meist mehr ein Versteckspiel mit den Walen. Der
ganze Ort war in das Fest eingebunden, das ging das ganze Wochenende lang. Wir
waren im ersten Hotel am Platz und sind auch mit der ganzen Gesellschaft zu den
Walen rausgefahren.«
»Das ist natürlich was anderes als lustige Hochzeitsspielchen im
Ballsaal eines Düsseldorfer Hotels zu furchtbarer Musik.« Rosenmair zog eine
Grimasse. »Was war denn dann so kitschig bei euch? Habt ihr ein Just Married -Foto schießen lassen mit Walen im Hintergrund,
die ihre Schwanzflossen zu einem Herz kreuzen?«
J.P. musste lachen. »Nein, aber die
Vorstellung gefällt mir. Vielleicht wäre das ja ein neues Hochzeitsangebot für
interessierte Touristen. Müsste man nur die Wale dressieren …« Er griff wieder
nach der Kaffeeschale. »In dem Fall war ich wohl der Kitschigere von uns beiden – ich hatte immer davon geträumt, zu einem bestimmten Lied in die Kirche und
auf den Altar zuzuschreiten …«
Rosenmair horchte auf. »Jetzt sag nicht ›Ave Maria‹ oder so.«
»Non!« J.P. sah ihn bestürzt an. »Wie kommst du denn darauf?«
»Weiß ich auch nicht. Ist wahrscheinlich das Kitschigste, das ich
mir in einer Kirche zur Hochzeit vorstellen kann.«
»Bei uns gab es das jedenfalls nicht, mon dieu .
Es war ›A Whiter Shade of Pale‹ von Procol Harum.«
Jetzt war Rosenmair enttäuscht. »Das geht aber doch absolut, das ist
ja nicht mal wirklich kitschig. In dem Punkt könnt ihr also gar nicht mitreden,
das kannst du deiner Frau sagen. Aber jetzt lass uns endlich über den Wein
sprechen, den du für die Hochzeit besorgen musst. Wenn’s da nicht wenigstens
was Vernünftiges zu trinken gibt, steh ich das bestimmt nicht durch.«
J.P. stand auf und holte sein ledernes
Auftragsbuch. »So, dann sag mal, wann die ganze Chose steigt und über welche
Mengen wir hier sprechen.«
Rosenmair stöhnte auf. »Viel, J.P. ,
auf jeden Fall viel!«
***
Als Becker nach Hause kam, wunderte er sich einen Moment lang
über den auffällig lackierten Kleinwagen, der in Rosenmairs Einfahrt vor der
Garage stand. Während er noch nach seinem Schlüssel kramte, kam ihm der alberne
Gedanke in den Sinn, dass solch ein Auto wenigstens vor Brandanschlägen sicher
wäre, dem näherte sich bestimmt keiner, wenn’s nicht unbedingt nötig war. Er
seufzte. Weder konnte er die Motivation für diese Brände verstehen noch das
Gewese, das viele Autobesitzer um diesen Gebrauchsgegenstand machten. Manchmal
hatte er den Eindruck, dass es für viele Leute schlimmer wäre, wenn ihr
Autolack zerkratzt würde, als wenn anderen Menschen Leid angetan wurde. Wie oft
Becker selbst schon, ob als Fußgänger oder auch als Autofahrer, von
irgendwelchen Schwachköpfen fast überfahren worden wäre, nur weil sie unbedingt
noch über die Kreuzung oder in diese Straße oder aus dieser Ausfahrt sausen
mussten. Wirklich auffällig war in letzter Zeit auch die vermehrte Zahl von
Rotfahrern, von Autofahrern also, die beim Wechsel von gelb auf rot nicht
gerade eben noch kurz aufs Gaspedal drückten und über die Ampel huschten,
sondern die rote Ampel in gewisser Weise ignorierten, und zwar ohne Not, als
wollten sie sagen: Ich hab’s doch nicht nötig, hier
anzuhalten! Becker sah darin ein gesellschaftliches Problem, eine Verrohung der
Sitten und der Moral. Es blinkte ja auch
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