Das letzte Hemd
Doch Routinearbeiten wie diese gehörten auch zum Alltag eines
Polizisten, wie Becker nicht müde wurde, Stöffel zu erklären, besonders in
Zeiten, in denen es ohnehin zu wenig Stellen gab. Und immer viel zu viel
Arbeit.
Stöffel ging an Beckers Schreibtisch vorbei und blickte dabei auf
die Bilder der verkohlten Autos.
»Diese Schweine, wie kann man nur so grausam sein?«
Becker sah sich um, doch da war niemand außer ihm. Stöffel meinte
anscheinend tatsächlich die Fotos, die in erster Linie geschwärztes Blech
verbrannter Pkw zeigten. Er guckte aber so, als handele es sich um die Leichen
seiner wenn nicht besten, so doch recht guten Freunde. Becker war etwas
irritiert – bei Fotos von schlimm zugerichteten Mordopfern hatte er diesen
Ausdruck von Mitgefühl noch nie im Gesicht seines Kollegen festgestellt.
»Kaputte Autos gehen Ihnen so richtig nahe, oder, Stöffel?«
»Das ist doch aber auch scheiße, Chef, sinnlose Gewalt gegen Sachen …«
»Wenn die Gewalt also sinnvoll gewesen wäre, wäre alles in Ordnung?«
Stöffel stutzte und dachte einen Moment nach. Man konnte förmlich
dabei zusehen, wie er diesen Gedanken in seinem Hirn hin- und herbewegte.
»Nein, na ja, vielleicht, wenn das Auto sowieso schon gebrannt hätte …« Er
brach ab und schüttelte den Kopf. »Jedenfalls sind das ja meist so Hippies, so
langhaarige Radfahrer, die sich an Autos vergreifen, weil sie selbst keins
haben oder anderen ihre teuren Autos nicht gönnen.«
Becker war zu müde, diese sinnlose Diskussion ernsthaft
weiterzuführen. Doch Stöffel dachte sogar noch weiter.
»Sagen Sie, Chef, soll ich nicht meine Autokenntnisse in die
Brandstiftergeschichte einbringen? Das würde Ihnen ganz bestimmt helfen. Eine
Explosion in einer Lagerhalle ist ja wirklich keine Herausforderung für einen
echten Polizisten …«
Noch bevor Becker richtig reagieren konnte, sammelte Stöffel auch
schon die Fotos ein und murmelte, er wolle sich ein genaues Bild machen.
Vielleicht sagte er das aber auch nur, um in Ruhe trauern zu können. Becker gab
auf und schob ihm ein Blatt Papier rüber. Vielleicht war das ja gar keine so
schlechte Idee.
»Das sind die Autotypen, Kennzeichen, Namen und Adressen der
Besitzer beziehungsweise Halter und so weiter, das kennen Sie ja. Schauen Sie
sich mal an, was dazu rauszukriegen ist.«
Lesend ging Stöffel aus Beckers Zimmer und stieß dabei mit einem
Kollegen zusammen, der gerade zur Tür hereinkam. Die Fotos der verkohlten Autos
landeten auf dem Fußboden, Stöffel sammelte sie fluchend wieder ein und ging
grußlos weg.
»Was ist denn mit dem los?«, fragte der Kollege verwundert.
Becker grinste nur und meinte: »Ist doch immer schön zu beobachten,
wenn Leute Beruf und private Interessen vereinbaren können.«
»Wieso, will Stöffel jetzt hobbymäßig Autos anzünden?« Der Kollege
suchte die Akte, die er brauchte, aus einem Stapel und ging zur Tür, wo er sich
noch mal zu Becker umdrehte. »Wenn du mich fragst: Feuer unterm Arsch würde
auch bei dem manchmal helfen …«
Becker hob die Hand zum Abschied und zog die unterste Schublade
seines Schreibtischs auf. Feuer unterm Arsch machen, genau das würde er tun,
denn wenn Stöffel sich so richtig in den Autozündlerfall reinkniete, könnte er
seinem Vorgesetzten ja vielleicht ihn als Leiter der
Sonderkommission aufs Auge drücken. Einen Versuch war’s wert. Und jetzt
brauchte er einen Moment Pause. Er nahm ein paar Unterlagen aus der Schublade,
einen querformatigen Schreibtischkalender und die Liste mit den
Flugverbindungen Düsseldorf–New York, die er sich gestern ausgedruckt hatte.
Mit einem Leuchtstift begann er, die in Frage kommenden Termine zu markieren.
***
J.P. verstand sofort, was
Rosenmair wichtig war, als der am Montag mit seinem Wein-Anliegen bei ihm
auftauchte, einen Tag später als gedacht. J.P. war etwas dazwischengekommen, deshalb hatte er Rosenmair im letzten Moment
abgesagt.
Am nächsten Tag war der Richter also erneut losgefahren, mit einem
resoluten »Kein Wort über die Farbe!« aus dem Wagen gestiegen und hatte J.P. in groben Zügen über die Hochzeit und alle dort zu
erwartenden Scheußlichkeiten ins Bild gesetzt. Catherine, die gerade auf dem
Weg zu einem Geschäftstermin war, begrüßte ihn nur kurz und war natürlich
sofort auf Ann-Britts Seite, als sie die Worte »Hochzeit« und »kitschig« hörte.
»Hochzeiten müssen kitschig sein, mon cher ,
sonst wird aus der Ehe nichts.«
Bevor Rosenmair Einspruch erheben
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