Das letzte Hemd
Begeisterung nur
ansatzweise teilen und begann, die Scheibe wieder hochzudrehen. »Ach, egal, ich
muss jetzt los. Der Wein wartet nicht.«
Er fuhr mit quietschenden Reifen los. Larry blickte ihm ratlos
hinterher. Wieso sollte Wein nicht warten? Manchmal verstand er das alles
nicht.
***
»Sie machen das schon, ich verlasse mich voll und ganz auf Sie.«
Becker konnte nur nicken und seine Hand seinem Vorgesetzten
überlassen, der sie wild schüttelte, noch einmal kräftig drückte und dann mit
einem Vertrauen suggerierenden Tätscheln der anderen Hand schon wieder aus der
Tür raus war. Becker wusste, dass immer, wenn sein Chef solche Stanzen von sich
gab, er niemand anderen hatte finden können oder sich ganz schnöde Befehlen von
oben beugen musste. Nun hatte Becker also die ruhmreiche Aufgabe, eine
Sonderkommission zusammenzustellen und zu leiten, das war das Ergebnis der
Lagebesprechung gewesen. Aber zumindest hatte sich der Chef darauf eingelassen,
dass Becker ihm so bald wie möglich einen festen Termin für seinen Urlaub
nennen sollte, ab dem er dann nicht mehr zur Verfügung stand. Becker kannte das
schon. Wenn er dann tatsächlich einen konkreten Zeitraum anmeldete, wurde er
meist entsetzt und mit großen Augen angesehen, als habe er nicht nur
vorgeschlagen, die freien Tage aus dem Urlaubskontingent seines Vorgesetzten zu
bestreiten, sondern sich die Reise gleich komplett von diesem bezahlen zu
lassen – und auch noch dessen Ehefrau mitzunehmen. Der Chef japste gern erst
mal irgendwas von »nicht mit mir abgestimmt«, bevor er die Genehmigung zwar
erteilte, aber deutlich durchblicken ließ, dass dies ein freundliches
Zugeständnis seinerseits und reines Entgegenkommen sei. Becker konnte darüber
inzwischen nur noch lachen. Aber auf seinen Urlaub würde er bestehen, komme,
was da wolle.
Er wandte sich der schon recht umfangreichen Ermittlungsakte zu, die
der Chef ihm in die Hand gedrückt hatte. Rund ein Dutzend Autos waren
inzwischen in Mönchengladbach und Umgebung zum Ziel von Brandanschlägen
geworden. Ganz genau konnte man das nicht sagen, da einige der Pkw vermutlich
nur in Brand gerieten, weil die neben ihnen parkenden Wagen angezündet worden
waren. Die jeweiligen Tathergänge wurden noch untersucht. Bei den Auslösern
handelte es sich wahrscheinlich um herkömmliche Grillanzünder. Aber das musste
die Analyse der KTU , der Kriminaltechnischen
Untersuchung, erst zeigen. Auffällig war, dass es sich bei den betroffenen
Automarken durchweg um teure Modelle handelte, auch die so beliebten
Riesengeländewagen. Das war allerdings ein Zusammenhang noch ohne große
Aussagekraft.
Autos anzünden war ja inzwischen zu einer Art Mode oder einem
Volkssport geworden, in Hamburg, Frankfurt und natürlich Berlin. Auch da traf
es meist die Autos der Reichen und Privilegierten – und immer häufiger auch die
größten Dreckschleudern. Manche sprachen gar von Ökoterrorismus. So weit würde
Becker nicht gehen. Aber er konnte sich bei manchen Aktionen einer gewissen
Sympathie nicht erwehren, was er natürlich nie laut aussprach.
Wie aufs Stichwort kam sein Kollege Stöffel ins Zimmer – das heißt,
er kam nicht, er stürmte. Kriminalkommissar Peter Stöffel betrat keine Räume,
er eroberte sie, zumindest wirkte das meist so. Becker konnte mit seinem
Untergebenen nicht ganz so viel anfangen. Sicher, er war ein guter Polizist,
aber eher ein wenig schlicht in seiner kreativen Denkweise. Oder überhaupt in
seiner Denkweise. Becker sagte über Stöffel gern, dass nicht nur sein Auto
tiefergelegt war. Natürlich nicht öffentlich, aber es gab Kollegen, die ihm
zustimmten, und das waren nicht wenige. Auch Beckers Nachbar Rosenmair hielt
Stöffel für einen intellektuellen Bremsklotz. Stöffel hatte Rosenmair damals
bei den Morden an den Nordic Walkern zunächst vehement verdächtigt, ihm später
aber durch heldenhaften Einsatz das Leben gerettet. Trotzdem war es nicht zu
einer wunderbaren Freundschaft zwischen den beiden gekommen, was Becker auch
nicht besonders wunderte.
Aktuell ermittelte Stöffel in einem anderen Fall. In einer
Lagerhalle war es bei Schweißarbeiten zu einer Explosion gekommen, die das
halbe Gebäude zum Einsturz gebracht hatte. Bei der Detonation waren drei
Arbeiter ums Leben gekommen, mindestens zehn wurden verletzt, zwei davon
schwer. Stöffel hatte gestöhnt, als Becker ihm den Fall anvertraute, er hatte
lieber mit Drogen und Waffen und am liebsten mit beidem zu tun, gern auch im
Rotlichtmilieu.
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