Das letzte Hemd
einem guten Menschen wirst.« Sie legte auf.
Jetzt war Rosenmair beeindruckt. Und überrascht. Vor allem davon,
dass seine Tochter ihn »Papa« genannt hatte.
Keine zehn Minuten später hatte Rosenmair eine
Kneipenverabredung für den nächsten Abend mit »dä Kaleinz« in der Tasche. So
hatte Lindner sich am Telefon gemeldet.
»Hier iss dä Kaleinz!«, hatte es in sein Ohr gedröhnt, und bevor
Rosenmair überhaupt erklären konnte, worum es ihm eigentlich ging – er hatte
beschlossen, einfach die Wahrheit zu sagen und im Zweifel ein bisschen was
wegzulassen –, stand das Treffen in Lindners Stammkneipe »Klingelpütz« irgendwo
bei Neuss fest. »Wenn de mich suchst: immer an der Theke!«, hatte der Baulöwe –
irgendwie passte Larrys Bezeichnung doch, zumindest zu Lindners Stimme – gesagt
und dröhnend gelacht. Rosenmair grauste jetzt schon vor dem Abend, aber es
schien ihm der schnellste Weg zu sein, Insiderinformationen über die ganze
lokale Baubranche in Erfahrung zu bringen, über die Auftragsvergabe und den
Unfall in der Lagerhalle. Außerdem erhoffte er sich weitere Informationen zu
Philipps und Ann-Britts Hauskaufplänen. Vielleicht konnte er Vater Lindner ja
dezent in eine andere Richtung lenken. Wenn der schon die ganze Chose oder
zumindest einen großen Teil davon bezahlte, dann könnte er ja auch Einfluss auf
den Sohnemann nehmen. Rosenmair war sicher, dass Philipp tun würde, was Papi
ihm sagte.
Der Stapel frisch gewaschener, aber ungebügelter Hemden in
seinem Schlafzimmer machte Rosenmairs Laune nicht besser. Frau Kindermann
weigerte sich immer noch, seine Oberhemden in ihren Arbeitsplan mit
aufzunehmen, auch eine Intervention von Frau Kolbich, zu der Rosenmair sie
genötigt hatte, hatte nicht geholfen. So speziell Rosenmair mit seinen Hemden
war, so speziell war Frau Kindermann mit ihrer Verweigerung derselben.
Inzwischen hatte er sich fast schon entschlossen, die Hemden entweder in eine
professionelle Reinigung zu geben oder es sogar selbst mit dem Bügeln zu
versuchen. Aber das schob er jetzt auch schon ein paar Tage vor sich her, ohne
eine rechte Entscheidung treffen zu können. Wenigstens würde er für das
Kneipentreffen mit Lindner senior kein Hemd brauchen, da würde er sicherlich
nicht mal im quietschgrünen Jogginganzug groß auffallen.
Rosenmair widmete sich wieder seiner aktuellen Lieblingslektüre,
nämlich der »Insel des zweiten Gesichts« von Albert Vigoleis Thelen. Inzwischen
hatte er sich im Internet über den Autor informiert. Am besten hatte ihm der
Begriff »Kaktusstil« gefallen, den der Autor selbst für sein abschweifendes
Erzählen gewählt hatte. In einem demnächst erscheinenden Briefband mit dem
schönen Titel »Meine Heimat bin ich selbst« schrieben die Herausgeber vom
»Quatschverzapfer, Prallerzähler und Phantasiemaschinenbetreiber« Thelen – das
gefiel ihm schon allein wegen der Assoziationen, die diese Beschreibungen
auslösten. Das Buchcover zeigte einen nachdenklich, vielleicht auch ein
bisschen skeptisch blickenden Mann mit schwarzer Baskenmütze, Heinrich Böll
nicht ganz unähnlich.
Dann legte sich Rosenmair seinen Schlachtplan für den nächsten Tag
zurecht. Morgen früh müsste er erst einmal das Maklerschild wieder vor dem
richtigen Haus anbringen, wenn der neugierige Nachbar das nicht schon getan
hatte. Aber der würde sich wahrscheinlich nur gewundert haben, warum nun
plötzlich ein anderes Haus zum Verkauf stand. Egal, jedenfalls war es besser,
wenn er sich das morgen noch mal persönlich ansah, bevor die Maklerin
misstrauisch wurde und vielleicht sogar den Schwindel durchschaute und
Ann-Britt noch einmal zu dem Haus bat.
Außerdem musste er sich noch überlegen, was er mit dem anderen Haus
anstellen sollte. Die Straße sagte ihm auf Anhieb nichts, er würde sie morgen
ebenfalls inspizieren. Er glaubte zwar nicht, dass er noch einmal so ein Glück
wie beim letzten Mal haben würde, aber zur Not würde er das Maklerschild
einfach komplett verschwinden lassen, vielleicht reichte das ja auch. Natürlich
war auch Ann-Britt nicht blöd, die würde kaum mehrmals auf solche Aktionen
hereinfallen. Vielleicht konnte er ja einfach die Maklerin bestechen – die
schien schließlich so etwas wie ein Monopol auf die Gegend zu haben. Rosenmair
nahm sich vor, morgen auch die Maklerin in Augenschein zu nehmen. Dann stand er
auf und machte das Fressen für Erko fertig, der schon seit geraumer Zeit durch
den Garten flitzte.
***
Kurz vor Feierabend bekam
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