Das letzte Hemd
Krankenschwestern, die sich durch die
ständigen Krankenbesuche und ihre immer freundliche und hilfsbereite Art
inzwischen mit Renate Kolbich angefreundet hatten, schickten sie erst einmal in
die Cafeteria. Der Kaffee dort hatte ihr noch nie so gut geschmeckt.
***
Unterdessen hatte sich Rosenmair aufs Rad geschwungen und war zu
dem Haus am Levy-Weg gefahren. Er musste unbedingt vor der Maklerin dort sein,
das Schild umstecken und wieder verschwinden. Als er in die Straße einbog, sah
alles gut aus: Das Schild steckte noch vor dem verlassen aussehenden
Horrorhaus, die Rollläden des eigentlichen Verkaufsobjekts waren heruntergelassen,
weit und breit war kein parkendes Auto, das einer Maklerin hätte gehören
können, zu sehen.
Der Richter stellte sein Fahrrad um die Ecke ab, sozusagen in
Fluchtrichtung, und ging über die Straße. Er sah sich noch einmal nach allen
Seiten um und betrat dann den Vorgarten des Hauses, das in diesem Moment noch
ein bisschen heruntergekommener aussah als vorher. Kein Wunder, dass Ann-Britt
sich nicht auf eine Besichtigung einlassen wollte. Sein Glück. Aber das würde
sicher nicht noch einmal klappen. Er überlegte noch, welche Maßnahmen er
stattdessen ergreifen konnte, als er Stimmen hörte, die in seine Richtung
kamen, und ein seltsames Klappern. Schnell versteckte Rosenmair sich hinter
einem stacheligen Busch, der zum Glück hoch genug war, um ihn ganz zu
verdecken. Er erkannte den Ursprung der Geräusche: Zwei Frauen, vielleicht
Anfang bis Mitte vierzig, bogen im Nordic-Walking-Outfit um die Ecke. Wären da
nicht die geschmacklos bunten Sportklamotten gewesen, hätte man sie spätestens
an den wie wehrlos hinter ihnen herschleifenden Stöcken als Walker
identifizieren können. Jetzt machten die beiden anscheinend Pause, ausgerechnet
vor dem Grundstück. Rosenmair duckte sich unmerklich noch ein bisschen tiefer.
Durch die dichte Hecke konnte er die beiden nur erahnen, ihrem Gespräch aber
problemlos folgen. Zwar hatte er den Anfang verpasst, aber offensichtlich ging
es um Walking-Strecken in der Umgebung von Waldniel und eine gemeinsame
Freundin, über die beide nach Herzenslust ablästerten. Rosenmair vernahm ein
Klicken. Wollten die jetzt etwa eine rauchen, ganz sportlich? Aber es war nur
die Halterung einer Schlaufe, die wohl Probleme machte.
Die eine Walkerin hantierte mit ihrem Stock und redete dabei weiter.
»Bei der heißt Nordic Walking entweder ein fettiges Fischbrötchen von Nordsee
oder ein Hot Dog bei Ikea in Kaarst.«
Die andere wollte sich vor Lachen schier ausschütten, Rosenmair war
nur milde amüsiert. Außerdem war gegen einen Hot Dog bei Ikea gar nichts zu
sagen, ab und zu. Er linste durch den Busch, doch die beiden Frauen hatten noch
ein anderes Thema gefunden und gingen anscheinend alte Klassenkameradinnen
durch.
Endlich machten sie sich wieder auf den Weg. Rosenmair hörte noch,
wie die eine bewundernd sagte: »Die Christiane hat ja gerade den Halbmarathon
geschafft, die läuft demnächst ihren ersten Triathlon …«, worauf die andere vor
Schreck ihre Stöcke fallen ließ. Wenig dynamisch marschierten sie weiter in
Richtung Schomm.
Rosenmair atmete tief durch. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, dass
die hier ein Kaffeekränzchen veranstalteten. Er sah sich noch einmal um und
schlich sich dann über den Rasen. Als er das Schild aus dem Boden zog, gab es
ein schmatzendes Geräusch. In der Nacht hatte es geregnet, das machte es etwas
leichter, denn er hatte es ziemlich tief in den Boden gerammt. Er nahm das
Schild in Hüfthöhe und eilte über die Straße. Im Vorgarten des anderen Hauses
drückte er das Schild vorsichtig in den Rasen. Offenbar zu vorsichtig, denn es
fiel mit einem seltsamen Quietschgeräusch, das Rosenmair nicht wirklich
einordnen konnte, um. Er fluchte und bückte sich, um es wieder aufzuheben,
drehte sich noch im Aufrichten um – und erstarrte mitten in der Bewegung. Sein
Blick fiel auf ein paar geschmackvolle Damenschuhe mit flachen Absätzen.
»Darf ich fragen, was Sie da machen?« Die Trägerin der Schuhe sah
ihn gelassen und nicht ohne Neugier an. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre
Lippen. Hinter ihr am Zaun lehnte ein blaues Damenhollandrad. Daher also das
Quietschen. Er lächelte schief und richtete sich ganz auf, in der Hand immer
noch das Schild. Die blonde Frau stand reglos da, sah ihn unverwandt an und
wartete. Irgendwas musste er jetzt sagen. Er hob das Schild hoch, auf
Augenhöhe, und deutete mit der anderen Hand etwas
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