Das letzte Hemd
schon dezenten Namensschild
samt Brauereimarke darüber konnte man das Lokal erkennen.
Rosenmair parkte um die Ecke, um nicht gleich mit seinem
apricotfarbenen Gefährt in Verbindung gebracht zu werden, nahm Rüttgers an die
Leine und betrat den Laden. Drinnen war es vergleichsweise hell, zumindest
hatte er eine schummrigere Atmosphäre erwartet. Ein Mann hinter dem Tresen
nickte ihm knapp, aber nicht unfreundlich zu. Rosenmair sah sich kurz um und
konnte Karl-Heinz Lindner erst nicht finden. Es war nicht besonders voll, ein
paar Typen saßen am Tresen, die wenigen Tische waren nicht besetzt. Als er
suchenden Blickes weiter in das Lokal hineinging, erkannte er, dass es größer
war, als er gedacht hatte, links um die Ecke gab es noch mehrere Nischen mit
Tischen und Bänken, und hier hielt Karl-Heinz Lindner Hof. Anders konnte man es
nicht nennen, denn als Rosenmair auf die Nische zutrat und Lindner ihn
erblickte, schickte er die beiden vor ihm sitzenden Männer mit einer einzigen
Handbewegung weg. Sie nickten Rosenmair kurz und auch ein wenig neugierig zu,
wahrscheinlich fragten sie sich, welche Geschäfte er mit »dem großen Lindner«
zu besprechen hatte. Larry hätte sich von dieser Szene sofort an einen seiner
Lieblingsfilme erinnert gefühlt, Francis Ford Coppolas »Der Pate«, in dem sich
unterwürfige Bittsteller dem mächtigen Don Corleone näherten, ihn um eine
Gefälligkeit baten und tief in seiner Schuld standen, wenn er sie ihnen
gewährte. Dabei kam es irgendwann zum viel zitierten »Angebot, das man nicht
ablehnen konnte«.
Dä »Don« Kaleinz zwinkerte Rosenmair zu und bedeutete ihm
unmissverständlich, er solle sich zu ihm setzen. Rüttgers ließ sich gemütlich
unter dem Tisch nieder, bekam eine Schale Wasser hingestellt und schlief sofort
ein. Auf die Frage »Bier?« antwortete Rosenmair mit einem instinktiven Nicken,
ohne das Weinangebot des Ladens auf der Karte genauer anzusehen. Ein späterer
Blick auf den entsprechenden Abschnitt (»Wein: weiß/rot«) belohnte ihn für
seine weise Voraussicht. Als das Bier kurze Zeit später vor ihm stand, wunderte
er sich; es war ein Altbier, wenn auch ein erstaunlich süffiges.
Karl-Heinz Lindner prostete ihm zu und bemerkte seine Irritation.
»Stimmt was nicht?«
Rosenmair schüttelte den Kopf. »Nein, alles gut. Ich hätte nur
gedacht, dass es in einem Laden mit diesem Namen eher Kölsch gibt, so viel hab
ich inzwischen ja schon gelernt über die Sitten und Gebräuche der Braukunst
dieser Gegend.«
Lindner lachte dröhnend, wie eigentlich immer. »Ach so, wegen
Klingelpütz? Ja, stimmt, könnte man drauf kommen. Aber der Name kommt
tatsächlich ganz woanders her.«
Rosenmair war durchaus interessiert. Außerdem fiel ihm auf, dass
Karl-Heinz Lindner jetzt fast gar keinen Dialekt sprach und auch bei Weitem
nicht so polternd war wie die letzten Male, als er ihm begegnet war.
Anscheinend gehörte das zu seinem Geschäftsgebaren und Rosenmair inzwischen nun
mal zur Familie, wie dem Richter in diesem Moment leicht schaudernd wieder
bewusst wurde.
Lindner zeigte auf den Tresen. »Der Tünnes da, siehste den?«
Rosenmair nahm an, dass es sich um eine rhetorische Frage handelte, fabrizierte
aber doch so etwas Ähnliches wie ein Nicken. Er war schon froh, dass er
mittlerweile gelernt hatte, dass der Ausdruck »Tünnes« von den
traditionsreichen Kölner Figuren Tünnes und Schääl kam, aber nicht immer damit
in Verbindung stand. Meist bezeichnete man damit nur Typen, deren Namen man
vielleicht nicht kannte oder kennen wollte, und auch gern in etwas abwertender
Form.
Seinem Gegenüber schien sein Nicken zu reichen, um fortzufahren.
»Also, der da ist der Enkel vom alten Pütz …«
Rosenmair glaubte, die Sache abkürzen zu können. »Und den haben sie
immer rausgeklingelt, daher der Name!«
Karl-Heinz Lindner sah ihn lange an. Man merkte, dass er
Unterbrechungen nicht mochte und es schon gar nicht gewohnt war, unterbrochen
zu werden, wenn er eine Geschichte erzählte. Und er wollte diese Geschichte
unbedingt erzählen, das war klar. Rosenmair ergab sich in sein Schicksal, und
Lindner verlor sich in einer ausschweifenden und wenig witzigen Anekdote um
einen Bäcker oder Konditor namens Pütz, der vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten
für seine Zuckerkringel berühmt war, weshalb er irgendwann, wie konnte es
anders sein, den wenig originellen Spitznamen »Kringel Pütz« bekam. Dann hatte
noch irgendein Pitter damit zu tun, der Klingelschilder herstellte,
Weitere Kostenlose Bücher