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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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bemalte
oder entwarf, so genau konnte Rosenmair das während der jetzt doch wieder
dialektreichen Erzählung des Bauunternehmers nicht mehr sagen. Auch die
eigentliche Pointe hatte er irgendwie verpasst, wahrscheinlicher war aber, dass
es gar keine gab. Irgendeine Rolle spielte jedenfalls ein Satz der Frau des
Protagonisten, den Lindner mehrfach wiederholte, jeweils gefolgt von wieherndem
Lachen: »Bäcker, der Auto iss fott!«
    Als er endlich fertig war, sah Karl-Heinz Lindner Rosenmair
erwartungsvoll an. Der nickte bedächtig, trank sein Glas aus und meinte dann
mehr zu sich selbst: »Muss man wahrscheinlich dabei gewesen sein.«
    Lindner sagte erst gar nichts, dann begann er zu lachen und ließ
seine Pranke auf Rosenmairs Schulter niederkrachen wie eine Dampframme auf der
Jagd nach Überstunden. Mit der anderen Hand signalisierte er »dem Tünnes« den
Wunsch nach mehr Bier. Das kam kurz danach zusammen mit einer Art
Schlachtplatte, von der Rosenmair sich nicht erinnern konnte, sie bestellt zu
haben. Auch von Seiten Karl-Heinz Lindners meinte er, keinerlei solche Signale
bemerkt zu haben. Vielleicht kam die hier aber automatisch mit dem zweiten
Bier, wer weiß? Oder Lindner hatte sein Standardmenü, das ihm automatisch
kredenzt wurde. Für Kneipenessen sah das, was sich auf der silbernen Platte an
Würstchen, Kasseler, Kartoffeln und Sauerkraut befand, jedenfalls mehr als
solide aus. Rosenmair hätte diese Speisen zwar eher im Winter erwartet, aber
wahrscheinlich variierte die Karte hier in den Jahreszeiten nicht sonderlich.
    Eine Zeit lang war bis auf unvermeidliche Essensgeräusche Ruhe am
Tisch, unter dem Rüttgers immer noch friedlich schlummerte. Dann wagte
Rosenmair sich aus der Reserve, obwohl er ja nun eigentlich gewarnt war, was
ausschweifende Erzählungen über Namen betraf. Aber schließlich durfte das alles
hier nicht umsonst gewesen sein. »Sagt dir eigentlich der Name Deibel was?«,
fragte er daher so nebenbei und unverfänglich wie möglich.
    Lindners Antwort kam prompt und unmissverständlich, trotz einer
gewissen Einschränkung durch ein komplettes Mettwürstchen in seinem Mund.
»Nichts Gutes.«
    »Hattest du mit dem schon zu tun, geschäftlich oder so?«
    Lindner ließ das Messer kreisen, musste aber erst runterschlucken.
»Wenn’s geschäftlich ist, ist’s auch immer privat.«
    Rosenmair sah ihn zweifelnd an. »Wieso? Das kann man doch trennen,
das sollte man sogar trennen, manchmal.«
    »Ja, da hast du recht, wenn’s ums Finanzamt oder den Beichtvater
geht. Aber bei mir geht das alles ineinander über. Deshalb bin ich ja auch so
erfolgreich.« Er zeigte mit dem Messer im Lokal umher. »Es kann aber auch
nerven, wenn dich deshalb ständig einer anquatscht, das will oder dies, einen
Praktikumsplatz für den nichtsnutzigen Enkel, eine Fuhre Sand für den
heimischen Garten.«
    »Da muss man aber doch nicht drauf eingehen«, erwiderte Rosenmair.
»Geschäft ist Geschäft und –«
    »… und Schnaps ist Schnaps«, tönte Lindner und orderte gleich
mal eine »kleine Lage«. Dann sah er Rosenmair prüfend an. »Du bist wirklich so
ein Idealist, oder? Na ja, vielleicht klappt das ja bei dir, bei mir läuft es
jedenfalls anders. Deshalb hatte ich auch nichts dagegen, dass mein Herr Sohn
nicht den Laden übernimmt, sondern sich lieber mit diesen anderen Nichtsnutzen
von Politikern abgibt. Das Standbein fehlte mir noch. Sonst hätte ich das auch
noch selbst machen müssen. Aber weißt du, Max …« Lindner rückte jetzt näher an
ihn heran, und Rosenmair konnte seinen Atem aus Bier und Kohlwurst riechen.
»Dafür fehlt mir die Abgebrühtheit.« Der Richter glaubte ihm kein Wort, aber
dann überraschte ihn Karl-Heinz Lindner doch wieder. »Du weißt doch, was Brecht
gesagt hat: ›Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.‹ In dem Fall kommt
bei mir zuerst die Moral.« Mit diesen Worten stand er auf und ging zur
Toilette.
    Rosenmair überlegte, ob er einfach gehen sollte. Viel in Erfahrung
bringen würde er hier sicher nicht. Aber dann siegte seine gute Erziehung. Und
irgendwie hatte Lindner ihn tatsächlich beeindruckt. Allein deshalb, weil er
Bertolt Brecht nicht für den Linksaußen vom 1.  FC  Köln
hielt.
    Als Lindner zurück war und ihn erwartungsvoll ansah, versuchte
Rosenmair es noch einmal. »Deibel? Du wolltest mir was über ihn erzählen.«
    Lindner nickte. »Kennst du den?«
    Rosenmair hob abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf.
    Lindner nickte noch einmal. »Da hast du

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