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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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»Dass sie kommen, wenn jemand stirbt.«
    »Vielleicht hat das einen Grund.« Jack sah Freemantle an. »Was ist, wenn Gott ihn auch hierher aus einem bestimmten Grund geschickt hat?«
    »Hör zu, Jack. Dieser Kerl hat zwei Leute umgebracht, weil sie seine Tochter in einem heißen Auto zurückgelassen haben. Wenn er durch den Gedanken, dass Gott ihm gesagt hat, er soll es tun, leichter damit leben kann, dann muss er es wohl denken. Und die Krähen, diese andere Stimme ... das ist nur sein schlechtes Gewissen.«
    »Ja?«
    »Ja. Aber er weiß etwas.«
    »Ich hab Angst, Johnny.«
    Johnnys Augen glitzerten. Er betrachtete Freemantle vor dem Ofen und nickte. »Er weiß etwas.«
    Jack versank in einen unruhigen Schlaf. Der Wind wehte seufzend durch die Ritzen, eine dünne Stimme, die zweimal zu etwas Furchtbarem anschwoll. Das Feuer im Ofen brannte herunter. Aus Johnnys Zorn wurde Trauer, dann überwältigte ihn gegen seinen Willen der Schlaf. Er träumte von stinkendem Holz und scharfen gelben Augen, von einem harten Sturz durch splitterndes Astwerk und vom hoffnungsvollen Lächeln seiner Schwester. Sie hockte im Dreck eines niedrigen Kellers, mit schmutziger Haut und in Lumpen gehüllt. Eine einzelne Kerze brannte, und sie schaute verblüfft auf. Bist du das?, fragte sie. Johnny fuhr hoch, und ein Schrei endete hinter seinen Zähnen.
    Einen Moment lang wusste er nicht, wo er war oder was passiert war, aber er wusste, dass etwas nicht stimmte. Er fühlte es in der stickigen, warmen Luft.
    Etwas stimmte nicht.
    Levi Freemantle saß einen Schritt vor ihm mit gekreuzten Beinen auf dem Boden. Er glänzte von Schweiß, graue Schatten lagen auf seiner schwarzen Haut. Seine Hände waren im Schoß verschränkt, und in den Händen lag der Revolver. Er starrte ihn an, drehte ihn zum Ofen. Sein Finger ertastete den Abzug.
    »Der ist geladen«, sagte Johnny.
    Als Freemantle aufblickte, hatte Johnny den Eindruck, dass sich dessen Krankheit ausgebreitet hatte. In Freemantles leeren Augen war kaum noch ein Rest von Bewusstsein. Er drehte die Waffe um und starrte in die Mündung. Der Augenblick zog sich in die Länge. Johnny streckte die Hand aus. »Darf ich ihn haben?«
    Freemantle beachtete ihn nicht. Seine Pranke umschloss den Revolvergriff. »Ich bin mal angeschossen worden.« Johnny konnte ihn kaum verstehen. Freemantle berührte die Schussnarbe an seinem Bauch. »Kleine Jungs sollten keine Waffen haben.«
    »Wer hat auf Sie geschossen?«
    »Meine Frau.«
    »Warum?«
    Er sah den Revolver an. »Nur so.«
    »Darf ich ihn haben?« Johnny beugte sich vor, und Freemantle gab ihm die Waffe, als sei es ein Apfel oder ein Becher Wasser. Johnny nahm sie und richtete sie auf Freemantles Gesicht. Er hatte Angst. Der Traum hielt ihn noch in seinen Klauen. »Wo ist meine Schwester?«
    Die Mündung war einen halben Meter von Freemantles Augen entfernt.
    »Wo ist sie?« Lauter. Noch fünfundzwanzig Zentimeter. Noch fünfzehn. Diesmal hielt er den Lauf mit tödlicher Ruhe, aber Freemantle war so ungerührt wie ein Ochse angesichts des Bolzenschussgeräts.
    »Als sie auf mich geschossen hat.« Seine Stimme war leise. »Da hat sie gesagt, es ist, weil ich dumm bin.« Zehn Zentimeter. Die eine Hand umfasste die andere, und der Finger krümmte sich um den Abzug. »Man darf jemanden nicht dumm nennen«, sagte Freemantle. »Leute so zu nennen, das ist gemein.«
    Johnny zögerte, und Freemantle legte sich hin. Der Revolver zielte weiter auf die Stelle, wo seine Augen gewesen waren, seine gelben, blutunterlaufenen Schlachthofaugen.

DREIUNDVIERZIG
    H unt wachte um fünf auf, unruhig und immer noch müde. Er duschte und rasierte sich, ging durch das kleine Haus, blieb an der Zimmertür seines Sohnes stehen und lauschte auf das tiefe, gleichmäßige Atmen. Es würde ein übler Tag werden. Er spürte es in jeder Faser, in jedem Knochen. Wenn dieser Tag gut zu Ende ginge, dachte er, wäre es ein Wunder.
    Unten in der Küche war es zu warm, und es roch nach Scotch. Hunt trank selten. Er hatte einen Kater und war enttäuscht von sich selbst.
    Zum Teufel mit Yoakum.
    Zum Teufel mit diesem Telefonat.
    Aber das war nicht fair. Er hatte es nicht hören wollen, doch der Mann hatte recht. Hunt hatte die Ereignisse in Gang gesetzt, als er aus dem Aufzug in Holloways Büro getreten war. Er war schuld an Meechums Tod. So, als hätte er selbst abgedrückt.
    Er schnippte den Vorhang zur Seite und schaute hinaus. Am Himmel waren keine Sterne, aber nach Regen sah es auch

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