Das letzte Kind
hier bin?«
Der Wärter lehnte sich zurück. »Ich sorge dafür, dass er es erfährt.«
»Sagen Sie es ihm jetzt. Nicht, dass ich hier war. Sagen Sie ihm, ich bin hier.«
»Ist das wichtig?«
»Es ist ein Unterschied«, sagte Hunt. »Ich warte.«
Als Hunt das Gefängnis verlassen hatte, setzte er sich zwei Straßen weiter auf eine Bank. Der Himmel war hoch und sternenlos. Zu Hause wartete eine leere Hülse. Nach ein paar Minuten klingelte sein Handy. Es war Trenton Moore. »Hab ich Sie geweckt?«
»Die Gefahr besteht nicht.« Trenton machte eine kurze Pause. »Ich hab das von Ihrem Sohn gehört. Tut mir leid.«
»Danke, Doc. Nett von Ihnen. Rufen Sie noch aus einem anderen Grund an?«
»Ehrlich gesagt, ja.« Trenton räusperte sich seltsam zögerlich. »Äh ... haben Sie einen Augenblick Zeit?«
Die rechtsmedizinische Abteilung lag im Kellergeschoss des Krankenhauses. Hunt war nie gern hingegangen, besonders nachts nicht. Der lange Korridor, der hineinführte, war spärlich beleuchtet. Die Betonwände schienen zu schwitzen. Hunt ging am Leichenschauraum vorbei, an den Reihen der Kühlkammern, den stillen Räumen, den schweigenden Toten. Dr. Moore saß in seinem Büro und diktierte, als Hunt an den Türrahmen klopfte. Er blickte auf, und ein gespanntes Funkeln trat in seine Augen. »Kommen Sie, kommen Sie herein.« Er legte das Diktafon weg und griff zu der Kaffeekanne auf der Kredenz hinter sich. »Kaffee?«
»Gern. Schwarz. Danke.«
Der Arzt goss den Kaffee in kleine Styroporbecher und reichte Hunt den einen. »Als Erstes«, sagte Moore, »sollte ich Ihnen wohl das hier geben.« Er nahm einen Asservatenbeutel aus der Schreibtischschublade und warf ihn auf den Tisch. Er landete schwer auf der Platte, und unter dem Plastik blinkte Metall.
Hunt nahm den Beutel und sah, dass er versiegelt und datiert war und die Unterschrift des Arztes trug. Er rollte ihn auf der flachen Hand hin und her und zählte sechs Patronen mit Edelstahlhülsen und eingedrückten Spitzen. »Lassen Sie mich raten. Hohlspitzenpatronen, Kaliber .32.?«
»Aus Mr. Freemantles rechter Hosentasche. Abgesehen von seiner Kleidung waren sie das Einzige, was er zum Zeitpunkt seines Todes bei sich hatte.«
»Na, damit wäre eine Frage beantwortet.«
»Nämlich?«
»Warum ein gewisser Excop immer noch lebt. Und was vielleicht noch wichtiger ist: warum sein dreizehnjähriger Sohn nicht unter Mordanklage steht.« Hunt steckte den Beutel ein. »Danke.«
»Nicht der Rede wert.« Sie tranken ihren Kaffee, und das Schweigen zog sich in die Länge. »Apropos Fragen.« Moore rollte mit seinem Stuhl nach vorn. Er wirkte klein und kompakt und so voller Energie, dass er kaum stillsitzen konnte. »Es gibt sehr wenige Geheimnisse bei dem, was ich tue, Detective. Unbeantwortete Fragen? Ja, andauernd. Aber keine Geheimnisse. Der menschliche Körper ist leider ein sehr berechenbares Instrument. Man verfolgt den Schaden, und er führt Sie weiter, führt Sie zu Schlussfolgerungen, lässt Sie Ursachen und Wirkungen erkennen.« Wieder flackerte die Energie in Moores Augen, die Aufregung. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Obduktionen ich schon durchgeführt habe?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Aber es sind viele. Hunderte. Vielleicht mehr. Ich sollte sie wirklich mal irgendwann zusammenzählen.« Hunt nahm einen Schluck Kaffee. Normalerweise wäre er ungeduldig geworden, doch jetzt musste er nirgendwohin.
Moore trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Seine Augen leuchteten, und er hatte rote Wangen. »Glauben Sie an Geheimnisse, Detective?« Hunt wollte antworten, aber Moore winkte ab. »Nicht die Geheimnisse, mit denen Sie jeden Tag zu tun haben.« Er beugte sich über den Schreibtisch und wölbte die Hände, als halte er darin eine kleine Weltkugel. »Große Geheimnisse. Richtige Geheimnisse. Gewaltige.«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen folgen kann.«
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Moore nahm eine Mappe vom Tisch und stand auf. Er ging quer durch das Zimmer und drückte auf einen Schalter am Röntgenbildbetrachter. Das Licht flackerte ein paarmal und brannte dann gleichmäßig. »Ich war nicht sicher, ob ich mich darüber äußern sollte, abgesehen von einer kurzen Anmerkung in meinem Bericht.« Er lachte nervös. »Ich habe an meinen Ruf zu denken.« Moore nahm eine Röntgenaufnahme aus der Mappe und klemmte sie vor den Bildbetrachter. Hunt erkannte die Struktur eines menschlichen Oberkörpers. Knochen, die zu leuchten schienen. Amorphe Schatten von
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