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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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dicken Arm. Der Junge schrie, doch Levi hielt ihn fest, so behutsam er konnte. Er war überrascht, als Gott ihm sagte, was er dem Jungen sagen sollte.
    »Gott sagt —«, begann er.
    Aber Levi sprach nicht schnell genug. Der Junge bekam einen von Levis Fingern in den Mund und biss so hart zu, dass die Haut platzte wie eine Traube. Die Zähne drangen bis auf den Knochen, und das Blut spritzte heraus. Es tat weh, höllisch weh, und Levi schleuderte den Jungen auf den Boden. Dabei hatte er ein schlechtes Gewissen, denn vielleicht hatte er Gott jetzt enttäuscht.
    Aber es tat weh.
    Der Junge kam rollend auf die Beine und schoss davon wie ein Kaninchen, doch Levi dachte nicht daran, ihm nachzulaufen. Mit der schweren Kiste auf der Schulter konnte er nicht rennen, und zurücklassen konnte er sie nicht mal für eine Minute. Also hielt er seinen blutenden Finger fest und wünschte, es würde nicht mehr so wehtun. Dabei musste er an seine Frau denken, und das war ein noch schlimmerer Schmerz. Also hielt er den blutenden Finger mit einer Hand umschlungen und lauschte auf die Stimme Gottes. Als er schließlich mit Levi sprach, sagte er, es wäre doch nett zu wissen, wovor der Junge weggerannt war.
    Levi hob die riesigen Schultern.
    »Gott spricht, Levi nicht.«
    Das war lustig.
    Er brauchte zwanzig Minuten bis zur Brücke. Das Blut auf den Felsen sah schwarz und verkehrt aus, und Levi lauschte angestrengt, bevor er sein Paket ablegte und unter der Weide hervortrat. Er wollte, dass jemand ihm sagte, was er tun sollte, doch Gott war verstummt. Der Wind strich wie ein heißer Finger über Levis Wange, und im Westen wetterleuchtete es. Die Luft war schwer vom trockenen, pulvrigen Geruch des Staubs unter der Brücke, und sie war elektrisch aufgeladen.
    Levi war, als höre er eine Stimme aus dem Fluss. Er legte den Kopf schräg und lauschte eine volle Minute, bevor er zu dem Schluss kam, dass es nur das Wasser war, das sich bewegte. Oder eine Schlange im Gras. Oder ein Karpfen im Schilf vor dem Ufer.
    Jedenfalls nicht Gott.
    Wenn Gott sprach, spürte Levi, wie sich kühle Luft über ihm türmte; ihm war friedlich zumute, selbst wenn er an das Böse dachte, das er getan hatte.
    Also war das hier nicht Gott.
    Er stand vor der Gestalt am Boden, und sein Kopf funktionierte nicht richtig. Nicht, dass er Angst gehabt hätte — obwohl er durchaus kleine spitze Nägel im Nacken spürte. Levi war traurig um den verrenkten Mann. So zerschlagen, und rot sickerte es aus ihm. Das war verkehrt. So verkehrt wie die Reglosigkeit und der flache Blick der offenen Augen.
    Levi wiegte sich von einem Fuß auf den andern. Er rieb die Narben in seinem Gesicht, auf der rechten Seite, wo die Haut aussah, als sei sie geschmolzen. Er wusste nicht, was er tun sollte, also setzte er sich hin und wartete darauf, dass Gott es ihm sagte.
    Gott würde es wissen.
    Gott war gut darin.

SECHS
    J ohnny kam in seine eigene Straße, als die Sonne gerade unterging und das Licht violett verblasste. Nächtliche Geräusche erwachten im Wald. Er humpelte vor Schmerzen, aber sein Herz war voller Hoffnung. Es glühte davon.
    Ich hab sie gefunden.
    Wen haben Sie gefunden?
    Das entführte Mädchen.
    Johnny ließ sich diese Worte immer wieder durch den Kopf gehen und suchte nach einem Grund, an den Gefühlen zu zweifeln, die ihn über den Schmerz in seinen Beinen hinwegtrugen. Acht Meilen war er fast nur gerannt, und das ohne Schuhe. Seine Füße waren aufgeschürft und voller Schnitte, vor allem der rechte, mit dem er zwei Meilen hinter der Stelle, wo der Troll mit der schwarzen Kiste ihn gepackt hatte, auf eine zerbrochene Flasche getreten war. Noch immer schmeckte Johnny das Blut des Mannes und den Schmutz an seiner Haut. Er bemühte sich, nicht allzu viel daran zu denken. Lieber dachte er an seine Schwester und seine Mutter.
    Johnny kam über den vorletzten Hügel, und ein feuchter Wind wehte ihm entgegen. Er sah eine Kette von Lichtern am Straßenrand. Fenster. Häuser. Sie sahen klein aus unter dem violetten Himmel, zusammengedrängt, wo der dunkle Wald sie an die schmale schwarze Straße drückte. Noch eine Meile, sagte er sich. Noch ein Hügel.
    Seine Mutter musste hören, was er gehört hatte.
    Jetzt ging es bergab, und er hörte das Auto nicht, das hinter ihm die Höhe kam. Er malte sich aus, wie die Neuigkeit auf seine Mutter wirken würde. Sie würde sie aus dem Bett treiben. Von den Tabletten herunterbringen. Es konnte ein ganz neuer Anfang sein. Sie beide, und dann

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