Das letzte Koenigreich
Auskunft, und er schrieb mit. Er staunte über den Knochen, der in Guthrums Haaren steckte, und erschauerte, als ich davon sprach, dass sich Guthrum in den Kopf gesetzt hatte, alle Engländer zu töten. «Das wird schwerer sein, als er glaubt», sagte Alfred trocken. Er legte die Schreibfeder nieder und ging wieder in der Kammer auf und ab. «Von den dänischen Anführern sind einige mehr zu fürchten als andere», erklärte er. «Ich habe Ivar den Knochenlosen gefürchtet, denn er war kalt und überlegt. Ubba? Ich weiß nicht, schätze aber, dass er gefährlich ist. Halfdan? Ein tapferer Narr mit hohlem Kopf. Guthrum? Er ist am wenigsten zu furchten.»
«Am wenigsten?», zweifelte ich laut. Auch wenn Guthrum den Beinamen der Unglückliche trug, so war er doch ein bedeutender Befehlshaber, der eine große Streitmacht anführte.
«Er denkt mit dem Herzen, Uhtred», antwortete Alfred, «nicht mit dem Kopf. Das Herz aber lässt sich verändern, nicht so der Kopf.» Ich erinnere mich, Alfred verständnislos angestarrt und dabei gedacht zu haben, dass er Dummheiten heraussprudelte wie ein Pferd die Pisse. Doch er hatte Recht, zumindest halbwegs, denn er versuchte, mich zu verändern. Doch es gelang ihm nicht.
Eine Biene flog zur Tür herein und wieder hinaus, nachdem Nihtgenga vergeblich nach ihr geschnappt hatte. «Was meinst du, Uhtred? Wird Guthrum versuchen, uns anzugreifen?»
«Ja, und zwar auf dem Land, vom Wasser her und mit Hilfe der Britonen aus Wales», antwortete ich. «Er will Euch zwingen, Eure Streitkräfte aufzuteilen.»
Alfred musterte mich mit ernstem Blick. «Woher weißt du das?»
Ich berichtete ihm von Guthrums Besuch bei Ragnar und von deren Unterhaltung, die ich hatte mitverfolgen können. Alfreds Feder kratzte und verspritzte kleine Tintentropfen, wenn sie an einer rauen Stelle des Pergamentes hängen blieb. «Daraus ließe sich schließen», sagte er beim Schreiben, «dass Ubba von Mercien über Land kommt und Guthrum von Ostanglien aus auf dem Seeweg vorstößt.» In diesem Punkt irrte er, aber zu dem damaligen Zeitpunkt war seine Vermutung nahe liegend. «Über wie viele Schiffe verfugt Guthrum?»
Ich hatte keine Ahnung. «Siebzig?», riet ich. «Hundert?»
«Es werden wahrscheinlich sehr viel mehr sein», entgegnete Alfred. «Und ich könnte nicht einmal zwanzig gegen sie aufbringen. Bist du schon einmal zur See gefahren, Uhtred?» «Viele Male.»
«Mit den Dänen?», fragte er haarspalterisch. «Mit den Dänen», bestätigte ich.
«Ich möchte dir folgenden Auftrag geben», hob er an, doch in diesem Moment ertönte eine Glocke, und er unterbrach sich. «Zeit zum Beten», sagte er und legte die Schreibfeder nieder. «Du kommst mit.» Es war keine Frage, sondern ein Befehl.
«Ich habe anderes zu tun», sagte ich, und dann, nach kurzem Zögern, «Herr.»
Er schaute mich überrascht an, war es ihm doch fremd, dass sich andere seinen Wünschen widersetzten, vor allem, wenn es darum ging, mit ihm zu beten. Aber angesichts meiner entschlossenen Miene drängte er nicht weiter. Auf dem gepflasterten Weg vor der Kammer war das Klatschen von Sandalen zu hören. Alfred entließ uns und eilte hinaus, um sich den Mönchen anzuschließen, die zur Kirche gingen. Wenig später ertönte eine dumpfe Litanei, die uns, Brida und mich, aus dem Palast in die Stadt trieb, wo wir ein Wirtshaus entdeckten, in dem gutes Ale ausgeschenkt wurde. Von Alfred war mir keines angeboten worden. Die übrigen Gäste betrachteten uns mit Argwohn, zum einen wegen unserer mit Runenzeichen verzierten Armreife, zum anderen wegen unserer Dialekte. Ich hatte einen northumbrischen Akzent, und Brida war anzuhören, dass sie aus dem Osten stammte. Das Silber aber, mit dem wir zahlten, wurde gewogen und für gut befunden, und die Stimmung hatte sich schon zu unseren Gunsten gewandelt, als Pater Beocca den Gastraum betrat und uns mit tintenfleckiger Hand zuwinkte. «Ich habe überall nach euch gesucht», sagte er und fügte, den Blick auf mich gerichtet, hinzu: «Alfred verlangt nach dir.»
«Er wollte beten», erwiderte ich.
«Er möchte mit dir speisen.»
Ich setzte meinen Krug an und trank. «Und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte ...», fing ich an.
«Ich hoffe, du lebst noch länger», unterbrach mich Beocca, «so lange wie Methusalem.»
Mir war nicht klar, von wem er sprach. «Und wenn ich hundert werden sollte», wiederholte ich, «möchte ich nie mehr mit Alfred an einem Tisch sitzen und essen.»
Er schüttelte
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