Das letzte Koenigreich
Heer im Westen von Hamtun lagerte. Der Bote war Beocca, und es überraschte mich selbst, dass ich mich freute, ihn zu sehen. Dabei hatte ich Grund, verärgert zu sein. «Warum habe ich zu lesen gelernt, wenn Ihr mir den Befehl mündlich übermittelt?», fragte ich beleidigt.
«Du hast zu lesen gelernt, um deinen Verstand zu schulen, Uhtred», antwortete er vergnügt. Als er dann Mildrith sah, ging sein Mund auf und zu wie das Maul eines gestrandeten Fisches. «Ist das ...?»
«Lady Mildrith», sagte ich.
«Euer Liebchen.» Beocca schnappte nach Luft und wand sich wie ein Hündchen, das getätschelt werden will. «Ich kannte Uhtred schon, da war er noch ein kleines Kind. So klein», stammelte er.
«Jetzt ist er groß», sagte Mildrith, was Beocca anscheinend für einen besonders gelungenen Scherz hielt, denn er kicherte übertrieben.
«Warum will Alfred mich sehen?», fragte ich, als er sich beruhigt hatte.
«Weil Halfdan tot ist, Gott sei's gedankt, und es wird kein Heer aus dem Norden gegen uns vorrücken, Gott sei's gedankt. Guthrum will die Waffen ruhen lassen. Die Verhandlungen haben schon begonnen, auch das sei Gott gedankt.» Er strahlte übers ganze Gesicht, als hielte er sich die freudige Nachricht selbst zugute, was er vielleicht auch konnte, denn er sagte nun, dass Halfdans Tod die Erfüllung seiner Gebete sei. «Wie oft habe ich gebetet, Uhtred! Siehst du jetzt, wie viel Gebete ausrichten können?»
«Wahrlich, gelobt sei Gott», antwortete Mildrith für mich. Sie war wirklich sehr fromm, aber niemand ist vollkommen. Überdies war sie schwanger, doch Beocca bemerkte es nicht, und ich sagte es ihm auch nicht.
Ich ließ Mildrith in Hamtun zurück und ritt mit Beocca ins Lager des westsächsischen Heers. Ein Dutzend königlicher Wachen bildeten unseren Geleitschutz, denn unser Weg führte nahe dem Nordufer des Pooles entlang. Hier hatten vor der Aufnahme von Verhandlungen um eine Waffenruhe immer wieder dänische Überfälle stattgefunden. «Was will Alfred von mir?», fragte ich Beocca zum wiederholten Mal. Er aber leugnete, den Grund zu kennen.
An einem kühlen Herbstabend erreichten wir das Lager bei Werham. Alfred betete in einem Zelt, das ihm als Kapelle diente. Vor dem Eingang warteten Aldermann Odda und sein Sohn. Ersterer grüßte mich mit einem knappen Kopfnicken, der andere würdigte mich keines Blickes.
Beocca ging ins Zelt, um sich an den Gebeten zu beteiligen. Ich setzte mich ins Gras, zog mein Schwert und schärfte es mit einem Wetzstein, den ich in einem Beutel bei mir trug.
«Glaubt Ihr, es kommt zum Kampf?», fragte Odda.
Die Augen auf seinen Sohn gerichtet, antwortete ich: «Vielleicht.» Dann schaute ich dem Vater ins Gesicht und sagte: «Ihr schuldet meiner Frau Geld. Achtzehn Schillinge.» Odda errötete, sagte aber nichts. Sein Sohn griff nach dem Heft seines Schwertes, worauf ich mich lächelnd erhob, das blanke Schwert in der Hand. Odda packte seinen Sohn und zerrte ihn fort. «Achtzehn Schillinge!», rief ich ihnen nach, ließ mich wieder im Gras nieder und fuhr mit dem Wetzstein über die scharfe Schneide.
Frauen. Dass Männer um sie kämpfen, war mir neu. Zuvor hatte ich angenommen, dass Männer nur um Land und Herrschaft kämpfen, aber tatsächlich kämpfen sie ebenso häufig um Frauen. Mildrith und ich kamen unerwartet gut miteinander aus, aber es war klar, dass mich Odda der Jüngere hasste, weil ich sie geheiratet hatte, und ich fragte mich, ob er es wagen würde, seine Feindschaft offen auszutragen. Von Beocca kannte ich die Geschichte eines fremdländischen Prinzen, der die Tochter eines Königs entführt hatte, worauf dieser gegen das Land des Prinzen in den Krieg gezogen war und den Tod Tausender Kämpfer in Kauf genommen hatte, um die Entführte zurückzuholen. Tausendfacher Tod! Wegen einer einzigen Frau! Der Hintergrund dieser Geschichte war die Rivalität zwischen König Osbert von Northumbrien und A Ella, dem Mann, der König werden wollte. Auch in diesem Streit ging es ursächlich um eine Frau, nämlich die Königsgemahlin, die A Ella Osbert abspenstig gemacht hatte. Ich habe Frauen darüber klagen hören, dass sie keine Macht besäßen und die Welt von Männern regiert werde, was ja auch der Fall ist, doch haben Frauen durchaus die Macht, Kriege anzustiften und Männer in den Tod zu treiben.
All diese Dinge gingen mir durch den Kopf, als Alfred aus seinem Zelt kam. Sein Gesicht trug jenen Ausdruck seliger Freude, der sich immer einstellte, wenn er seine
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