Das letzte Koenigreich
Männern, die mich als einen der ihren ansahen und sogar wieder einen Dänen aus mir zu machen versuchten. «Ich habe eine Frau», erklärte ich ihnen.
«Dann bring sie her!», sagte Ragnar. «Frauen können wir gar nicht genug haben.»
Auch wenn mir die Gesellschaft der Dänen besser gefiel als die der anderen Geiseln, so fühlte ich mich jetzt doch als Engländer. Das lag nicht an Alfred oder Beocca, sondern an Leofric und Mildrith. Vielleicht waren es die drei Spinnerinnen auch leid geworden, mich mit ihren Sticheleien zu belästigen, obwohl mir Bebbanburg immer noch im Kopf herumspukte, und ich fragte mich, ob ich diese herrliche Burg jemals wieder sähe, wenn ich Alfred die Treue hielt.
Ragnar zeigte sich mit meiner Wahl einverstanden. «Würdest du mir, falls es wirklich Frieden geben sollte, trotzdem helfen, Kjartan zur Strecke zu bringen?»
«Falls?», fragte ich nach.
Er zuckte mit den Achseln. «Guthrum will Wessex immer noch. Das wollen wir alle.»
«Falls es also Frieden geben sollte, ziehe ich mit dir nach Norden», versprach ich.
Aber ich bezweifelte, dass es Frieden geben würde. Im Frühjahr würde Guthrum aus Wessex abziehen, wir Geiseln kämen frei. Und dann? Die dänische Streitmacht war ungebrochen, und Ubba lebte noch. Es würde also zu einem neuerlichen Angriff auf Wessex kommen. Guthrum führte ihn längst im Schilde, denn er unterhielt sich häufig mit den Geiseln und versuchte in Erfahrung zu bringen, wie Alfreds Kampfkraft einzuschätzen war. «Sie ist sehr groß», sagte ich ihm. «Wenn Ihr sein Heer vernichtet, wird er sofort ein neues bilden.» Das war natürlich Unsinn, aber was hätte er anderes von mir erwarten können?
Ich glaube kaum, dass meine Worte Eindruck auf Guthrum machten. Waella aber, Alfreds Vetter, brachte ihm das Fürchten bei. Die beiden führten häufig stundenlange Gespräche miteinander und zogen mich manchmal als Übersetzer hinzu. Sie unterhielten sich nicht etwa über Truppen oder Schiffe, sondern über Gott. Wer war dieser Gott der Christen? Was hatte er anzubieten? Die Geschichte von der Kreuzigung des Menschensohns schlug Guthrum in ihren Bann, und ich glaube, er wäre Christ geworden, wenn Waella mehr Zeit gehabt hätte. Genau darauf hatte es der Priester auch abgesehen, denn er forderte mich auf, für Guthrums Bekehrung zu beten. «Es ist fast vollbracht», ereiferte er sich, «und wenn er erst einmal getauft ist, wird Friede sein.»
Davon träumen Priester. Ich dagegen träumte von Mildrith und dem Kind, das sie trug. Ragnar träumte von Rache. Und Guthrum?
Bei aller Begeisterung für das Christentum hatte Guth rum nur einen Traum.
Er träumte von Krieg.
DRI TTER TEIL Der Schildwall
ZEHN
Mit Ausnahme einiger weniger Posten, die Guthrum im Auge behalten sollten, zog sich Alfreds Heer aus Werham zurück. Der Unterhalt der Armee wurde zu teuer, und außerdem war zu furchten, dass sich im Lager Seuchen ausbreiteten. Darum nutzte Alfred den Waffenstillstand, um die Männer der Fyrds auf ihre Höfe zurückzuschicken, während er mit seinem Gefolge nach Scireburnan zog, das einen halben Tagesmarsch nördlich von Werham liegt. Dort hatten ein Bischof und ein Kloster ihren Sitz, was Alfred sehr gefiel. Beocca berichtete mir, dass der König den ganzen Winter über alte Kodizes aus Kent, Mercien und Wessex studierte, um sich auf die Formulierung eigener Gesetzestexte vorzubereiten. Ich bin sicher, er war glücklich, die Rechtsprechung der Vorfahren kritisieren zu können und von einer perfekten Gesellschaft zu träumen, in der uns die Kirche vorschreibt, was wir tun dürfen, und der König all diejenigen bestraft, die sich nicht entsprechend verhalten.
Huppa , der Aldermann von Thornsaeta, befehligte die wenigen Kämpfer, die vor dem Festungswall von Werham zurückgeblieben waren, während Odda der Jüngere eine Reiterschar anführte, um die Ufer des Poole zu sichern. Diese beiden Einheiten waren allerdings so schwach, dass sie im Ernstfall nur wenig hätten ausrichten können. Aber es gab ja ein Abkommen, und Guthrum hatte auf den heiligen Ring geschworen, die Waffen ruhen zu lassen.
Das Julfest in Werham war eine eher triste Angelegenheit, obwohl sich die Dänen redlich bemühten und nach Kräften zu feiern versuchten. Immerhin floss so viel Ale, dass am Ende alle Männer betrunken waren. Am deutlichsten in Erinnerung geblieben sind mir die Tränen, die Guthrum übers Gesicht rannen, als ein Harfenspieler eine traurige Melodie anstimmte und ein
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