Das letzte Koenigreich
hohen Podest sitzen. Ubba ist der Kleinere der beiden; er sieht aus wie ein bärtiges Fass, und Ivar ist so mager, dass er Ivar der Knochenlose genannt wird. Wenn ihm die Füße zusammengebunden würden, könnte man ihn als Pfeil vom Bogen schießen.»
Später erfuhr ich, dass Ivar und Ubba die älteren der drei Brüder waren, die das dänische Heer anführten. Ubba schlief, er hatte den schwarzhaarigen Kopf auf seine Arme gebettet, die selbst auf den Resten seiner Mahlzeit ruhten. Ivar der Knochenlose hingegen war wach. Er hatte tief liegende Augen und ein Gesicht wie ein Totenkopf; die gelben Haare waren in den Nacken zurückgekämmt, und sein Ausdruck verriet düstere Bösartigkeit. Seine Arme umschlossen viele Goldbänder, wie sie die Dänen als Zeichen ihres Heldenmuts tragen, und an seinem Hals hing eine lange Goldkette. Er sprach mit zwei Männern. Einer stand hinter Ivar und schien ihm etwas zuzuflüstern, während der andere mit sorgenvollem Blick neben den beiden Brüdern saß. Ich beschrieb all dies dem Alten, worauf dieser wissen wollte, wie der neben Ivar und Ubba sitzende Mann mit der sorgenvollen Miene aussehe.
«Keine Bänder am Arm», sagte ich, «ein goldener Halsreif. Braunes Haar, langer Bart, ziemlich alt.»
«Einem Jungen wie dir erscheinen alle Männer alt», entgegnete Ravn. «Das muss König Egbert sein.»
«König Egbert?» Von diesem König hatte ich nie zuvor gehört.
«Vormals Aldermann Egbert», erklärte Ravn. «Er hat im vergangenen Winter Frieden mit uns geschlossen, wofür wir ihn mit der Ernennung zum König von Northumbrien belohnt haben. Er ist König, aber wir sind die Herren des Landes.» Der Alte kicherte, und trotz meiner Jugend ahnte ich, dass Verrat im Spiel war. Aldermann Egbert besaß große Ländereien im Süden unseres Königreiches und war, was mein Vater im Norden gewesen war: eine einflussreiche Macht. Die Dänen hatten ihn bestochen und vom Kampf abgehalten, weshalb sie ihn nun König nannten, aber, und das war klar, an kurzer Leine führten. «Wenn du am Leben bleiben willst», riet mir Ravn, «solltest du Egbert deinen Respekt erweisen.»
«Am Leben bleiben?», platzte ich heraus. Ich hatte die Schlacht überstanden und bildete mir ein, als Kind, das nicht für sich selbst verantwortlich war, ungeschoren zu bleiben. Doch Ravns Worte führten mir die Wirklichkeit vor Augen, und ich bereute, dass ich mich zu erkennen gegeben hatte. Ich dachte, besser ein lebendiger Sklave als ein toter Aldermann.
«Ich glaube, du bist in Sicherheit», sagte Ravn. «Du gefällst Ragnar, und Ragnar bekommt immer, was er will. Stimmt es, dass du ihn angegriffen hast?»
«Ja.»
«Das wird ihm gefallen haben. Ein Junge, der Graf Ragnar angreift. Das muss ein echter Kerl sein, was? So einen, hat er gesagt, verschwendet man nicht an den Tod. Aber mein Sohn hat leider schon immer eine sentimentale Ader gehabt. Ich an seiner Stelle hätte dir den Kopf abgeschlagen. Aber jetzt bist du hier, lebendig, und ich glaube, es wäre klug, wenn du dich vor Egbert verbeugen würdest.»
Es kann sein, dass ich im Rückblick auf die Ereignisse jener Nacht manches falsch wiedergebe. Sicher ist, dass es ein Fest gab, dass Ivar und Ubba da waren, Egbert wie ein König auszusehen versuchte und dass Ravn freundlich zu mir war. Allerdings bin ich überzeugt davon, dass ich sehr viel verwirrter war und sehr viel mehr Angst hatte, als es in dieser Beschreibung erscheint. In anderer Hinsicht sind meine Erinnerungen an dieses Fest jedoch sehr klar. Beobachte und lerne, hatte mir mein Vater eingeschärft, und Ravn hieß mich beobachten, und ich lernte viel. Ich lernte, was Verrat bedeutet, als mich Ragnar, von Ravn gerufen, beim Kragen packte und zu dem Podest führte, wo mir Ivar mit einem Wink erlaubte, mich dem Tisch zu nähern. «Herr König», krächzte ich und kniete nieder, sodass sich der überraschte Egbert nach vorn beugen musste, um mich zu sehen. «Ich bin Uhtred von Bebbanburg», sagte ich, wozu mir Ravn geraten hatte, «und erbitte Euren Schutz.»
Es wurde still in der Runde. Zu hören war nur das Gemurmel des Übersetzers. Plötzlich erwachte Ubba; im ersten Moment schien er nicht zu wissen, wo er war. Als er dann seinen Blick auf mich richtete, spürte ich, wie sich meine Haut zusammenzog, denn ein so bösartiges Gesicht hatte ich noch nie gesehen. Seine dunklen Augen waren voller Hass, und ich wünschte mir, vom Erdboden verschluckt zu werden. Er sagte nichts, starrte mich nur an und griff
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