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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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der Männer auf den Tisch stieg und mich anpinkelte. In diesem Moment gebot eine donnernde Stimme den Männern Einhalt. Ragnar drängte sich durch die Menge, riss mir die Robe von den Schultern und hielt den Männern eine wütende Strafpredigt. Ich weiß nicht, was er ihnen sagte, aber es schüchterte sie ein. Dann legte er mir seinen Arm um die Schultern und führte mich auf ein Podest am Rand der Halle. Ein alter Mann aß dort für sich allein. Er war blind, beide Augen milchig weiß, und sein tief zerfurchtes Gesicht rahmten graue Haare, die so lang waren wie die von Ragnar. Er hörte, wie ich das Podest bestieg, und stellte eine Frage, auf die Ragnar antwortete, bevor er kehrtmachte und wegging.
    «Du hast bestimmt Hunger, mein Junge», sagte der alte Mann in meiner Sprache.
    Ich antwortete nicht. Ich hatte Angst vor seinen weißen Augen.
    «Bist du verschwunden?», fragte er. «Haben dich die Zwerge ins Erdreich hinabgezogen?» «Ich habe Hunger», sagte ich.
    «Du bist also doch noch da. Da sind Schweinefleisch, Brot, Käse und Ale. Wie heißt du?»
    Fast hätte ich Osbert gesagt, erinnerte mich dann aber an meinen neuen Namen und antwortete: «Uhtred.»
    «Ein hässlicher Name», sagte der Alte. «Aber mein Sohn hat gesagt, ich soll auf dich aufpassen, und das will ich tun. Du musst dich aber auch um mich kümmern. Schneid mir ein Stück Fleisch ab.»
    «Euer Sohn?»
    «Graf Ragnar», antwortete er, «auch Ragnar der Furchtlose genannt. Wen hat man soeben hier in der Halle getötet?»
    «Den König», antwortete ich, «und einen Priester.» «Welchen König?»
    «Osbert.»
    «Ist er tapfer gestorben?» «Nein.»
    «Dann hätte er kein König sein dürfen.»
    «Seid Ihr ein König?», fragte ich.
    Der Alte lachte. «Ich bin Ravn», sagte er, «und war früher einmal Graf und Ritter; aber jetzt bin ich blind und niemandem nütze. Man sollte mir eine Keule auf den Kopf schlagen und mich in die Unterwelt befördern.» Ich wusste nichts darauf zu sagen. «Aber ich versuche, mich nützlich zu machen», fuhr Ravn fort und tastete mit beiden Händen nach dem Brot. «Ich spreche eure Sprache, die der Britonen und Wenden, der Friesen und Franken. Sprachen sind jetzt mein Geschäft, mein Junge, denn ich bin ein Skalde.»
    «Ein Skalde?»
    «Dein Volk würde mich Barde nennen. Ich bin ein Poet, ich webe Träume, ich bin einer, der aus dem Nichts Herrliches entstehen lässt und andere mit seinen Werken blendet. Jetzt ist es meine Aufgabe, die Geschichte dieses Tages zu erzählen, und zwar so, dass unsere großen Taten niemals vergessen werden.»
    «Aber wie könnt Ihr erzählen, was geschehen ist?», fragte ich. «Ihr seid doch blind und habt nichts gesehen.»
    Ravn lachte. «Hast du schon einmal von Odin gehört? Wenn ja, wirst du wissen, dass Odin eines seiner Augen geopfert hat, um das Geschenk der Poesie zu empfangen. Vielleicht bin ich als Skalde ja doppelt so gut wie Odin, was?»
    «Ich bin ein Nachkomme Wotans», sagte ich.
    «Tatsächlich?» Er schien beeindruckt, aber vielleicht wollte er auch nur freundlich sein. «Nun, wer bist du, Uhtred, Spross des großen Wotans?»
    «Ich bin der Aldermann von Bebbanburg», antwortete ich, und das erinnerte mich daran, dass ich jetzt vaterlos war. Mein Trotz fiel in sich zusammen, und zu meiner Schande begann ich zu weinen. Ravn achtete nicht darauf und lauschte stattdessen den betrunkenen Rufen und Gesängen und den Schreien der Mädchen, die, aus unserem Lager verschleppt, den Kriegern als Belohnung für ihren Sieg ausgeliefert waren. Sie zu beobachten lenkte mich von meinem Kummer ab, denn solche Spiele hatte ich noch nie zuvor gesehen, obwohl ich später, Gott sei's gedankt, selbst oft solche Belohnungen erhielt.
    «Bebbanburg?», meinte Ravn. «Da bin ich schon gewesen, vor deiner Geburt. Vor zwanzig Jahren.»
    «Auf der Bebbanburg?»
    «Nicht in der Festung», antwortete er. «Die war uneinnehmbar. Ich war ein Stück weiter nördlich, auf der Insel, wo die Mönche beten. Dort habe ich sechs Männer getötet. Keine Mönche, sondern Krieger.» Die Erinnerung brachte ihn zum Lächeln. «Jetzt berichte mir, Aldermann Uhtred von Bebbanburg, was geschieht hier?»
    So wurde ich zu seinen Augen und schilderte ihm, was ich sah: Männer, die tanzten, Männer, die Frauen ihre Kleider vom Leib rissen, und das, was sie danach mit den Frauen machten. Doch daran war Ravn nicht interessiert. «Was», wollte er wissen, «treiben Ivar und Ubba?»
    «Ivar und Ubba?»
    «Sie werden auf dem

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