Das letzte Koenigreich
heimtückisches Temperament. Er war der Sohn eines Schiffsmeisters von Ragnar, der Kjartan genannt wurde. Ragnar besaß drei Schiffe, eines steuerte er selbst, Kjartan das zweite, und ein großer, von Wind und Wetter gegerbter Mann namens Egil steuerte das dritte. Kjartan und Egil waren natürlich auch Krieger, die als Schiffsmeister ihre Mannschaften in die Schlacht führten und entsprechend hoch im Ansehen standen, was die vielen Reifen zeigten, die sie am Arm trugen. Kjartans Sohn Sven konnte mich auf Anhieb nicht leiden. Er nannte mich eine englische Missgeburt, Ziegenscheiße oder Hundsfott, und, weil größer und älter, besiegte er mich problemlos. Aber auch ich hatte Freunde und das Glück, dass Sven Rorik fast ebenso hasste wie mich. Gegen uns beide hatte Sven keine Chance, weshalb er mich schließlich in Ruhe ließ, es sei denn, er konnte sicher sein, dass ich allein war. Von Sven abgesehen war der Sommer angenehm. Ich hatte zwar nicht genug zu essen und war nie gewaschen, doch brachte uns Ragnar immer wieder zum Lachen, und ich war selten unglücklich.
Ragnar war häufig unterwegs, denn ein Großteil des dänischen Heeres zog in diesem Sommer kreuz und quer durch Northumbrien, um den letzten Widerstand zu brechen. Ich hörte nur wenig von dem, was draußen passierte, von Bebbanburg überhaupt nichts. Scheinbar hatten sich die Dänen mit Erfolg durchgesetzt, denn alle zwei Tage kam ein weiterer englischer Thegn nach Eoferwic, um vor Egbert niederzuknien, der nun im Schloss des northumbrischen Königs wohnte, das von den Siegern allerdings zuvor gründlich ausgeplündert worden war. Die Lücke im Festungswall der Stadt wurde an nur einem Tag repariert.
Am selben Tag hoben wir - zwei Dutzend Sklaven - auf dem Feld, über das unser Heer in Panik geflohen war, eine tiefe Grube aus, um die halb verwesten Leichen der Gefallenen zu begraben. Einige von ihnen erkannte ich wieder. Ich vermute, dass mein Vater unter ihnen war, doch ich habe ihn nicht gesehen. Noch habe ich ihn besonders vermisst. Er war immer griesgrämig gewesen, ein Mann, der stets mit dem Schlimmsten rechnete und keinen Sinn für Kinder hatte.
Von all meinen Aufgaben hasste ich das Bemalen der Schilde am meisten. Zuerst mussten wir Rinderhäute sieden und Leim daraus kochen, den wir dann mit einem Pulver aus zerstoßenem Kupfererz verrührten. Das Ergebnis war eine zähe blaue Paste, mit der wir die neu gemachten Schilde beschmierten. Ich hatte noch viele Tage danach blaue Hände und Arme, aber als unsere Schilde am Schiff hingen, war ich stolz darauf, denn sie sahen prächtig aus. Um die Bordwand jedes Dänenschiffs lief eine Verstärkungsbohle, daran wurden die Schilde befestigt, dicht an dicht, wie bei einem Schildwall. Die von uns bemalten Schilde waren für Ubbas Schiff bestimmt, dasselbe, das ich zuvor abgeflämmt und sauber gekratzt hatte. Ubba schien fortsegeln zu wollen und legte Wert darauf, dass sein Schiff schön aussah. Es hatte einen Vordersteven, der, wie ein Schwanenhals gebogen, hoch aufragte und mit einer geschnitzten Tiergestalt verziert war. Der Kopf dieses Tieres, das halb Drache, halb Lindwurm war, konnte abgenommen und im Kielraum verstaut werden. «Wir nehmen den Kopf ab, um die Geister nicht zu erschrecken», erklärte mir Ragnar. Ich hatte inzwischen etwas Dänisch gelernt.
«Die Geister?»
Ragnar seufzte über meine Unwissenheit. «Jedes Land hat seine Geister», sagte er, «seine eigenen kleinen Götter, und wenn wir uns unserem eigenen Land nähern, nehmen wir die Tierköpfe ab, weil die Geister sonst erschreckt würden. Wie oft hast du dich heute geschlagen?» «Gar nicht.»
«Du hast dir wohl Respekt verschafft. Was hängt da an deinem Hals?»
Ich zeigte es ihm. Es war ein kleiner Eisenhammer, nicht größer als der Daumen eines Mannes. Ragnar musste lachen und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf. «Wir machen noch einen richtigen Dänen aus dir», sagte er zufrieden. Der Hammer war das Zeichen von Thor, dem dänischen Gott, der fast so wichtig war wie Wotan, der bei den Dänen Odin hieß. Ich fragte mich manchmal, ob Thor vielleicht der bedeutendere Gott war. Doch eine Antwort darauf konnte mir niemand geben, denn es gab keine Priester bei den Dänen, was mir gefiel, denn Priester sagten einem immer nur, was man zu tun und zu lassen hatte, quälten einen mit ihren Lektionen und forderten einen ständig zum Beten auf. Das Leben ohne sie war viel angenehmer. Die Dänen nahmen ihre Götter anscheinend weniger
Weitere Kostenlose Bücher