Das letzte Koenigreich
nach dem hammerförmigen Amulett, das an einer Kette um seinen Hals hing. Ubba hatte das hagere Gesicht seines Bruders, aber während dessen helles Haar streng zurückgekämmt war, besaß Ubba eine buschige schwarze Mähne und einen dichten Bart, in dem jetzt Essensreste klebten. Er gähnte, und mir war, als starrte ich in den Rachen einer Bestie. Ivar sagte etwas, worauf sich der Übersetzer an Egbert wandte, der Autorität auszustrahlen versuchte. «Dein Vater», sagte er, «hat sich erdreistet, gegen uns zu kämpfen.»
«Er ist tot», erwiderte ich mit Tränen in den Augen. Mehr kam nicht über meine Lippen. Stattdessen schniefte ich wie ein Kleinkind und spürte Ubbas Wut, die mir wie eine heiße Welle entgegenschlug. Ärgerlich wischte ich mir mit dem Ärmel über die Nase.
«Wir werden noch entscheiden, was aus dir wird», sagte Egbert hochmütig und entließ mich.
Ich ging zu Ravn zurück, der genau wissen wollte, was passiert war, und lächelte, als ich ihm Ubbas finstere Miene beschrieb. «Er ist wahrhaft Furcht erregend», stimmte Ravn zu. «Ich weiß, dass er Dutzende von Männern getötet hat, allein sechzehn in einer einzigen Schlacht. Allerdings kämpft er nur, wenn die Vorzeichen günstig sind.» «Vorzeichen?»
«Ubba ist sehr abergläubisch», sagte Ravn. «Vor allem aber gefährlich. Wenn ich raten darf, junger Uhtred, so lege dich nie, niemals mit Ubba an. Davor hätte selbst Ragnar Angst, und Ragnar fürchtet wenig.»
«Und Ivar?», fragte ich. «Würde Euer Sohn gegen Ivar kämpfen?»
«Den Knochenlosen?» Ravn dachte über meine Frage nach. «Auch er verbreitet Schrecken, denn er kennt kein Erbarmen. Doch er besitzt Verstand. Und wenn Ragnar irgendjemandem dient, dann ihm, und die beiden sind Freunde, also würden sie nicht gegeneinander kämpfen. Mit Ubba verhält es sich anders. Er tut nur, was ihm die Götter sagen. Und vor Männern, die ihre Befehle von den Göttern entgegennehmen, solltest du dich stets in Acht nehmen. Schneid mir ein Stück Schwarte ab, Junge. Es gibt nichts Besseres als Schweineschwarte.»
Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit ich in Eoferwic zubrachte. Ich musste arbeiten, daran erinnere ich mich. Meine guten Kleider wurden einem dänischen Jungen gegeben, an ihrer Stelle musste ich mit einem wollenen Flohkittel vorlieb nehmen, den ich mit einem Strick zusammenhielt. Ein paar Tage bereitete ich für Ravn das Essen zu. Dann trafen weitere dänische Schiffe ein. Sie brachten vor allem Frauen und Kinder, die Angehörigen der siegreichen Kämpfer, und mir wurde klar, dass sich die Dänen auf Dauer in Northumbrien niederlassen wollten. Unter den Neuankömmlingen befand sich auch Ravns Frau, ein großes Weib namens Gudrun, die mit ihrem Lachen einen Ochsen hätte umwerfen können. Sie vertrieb mich von der Kochstelle, an der sie nun zusammen mit Ragnars Frau arbeitete, die Sigrid hieß und deren Haar wie Gold in der Sonne schimmerte und bis zu ihrer Taille reichte. Sie und Ragnar hatten zwei Söhne und eine Tochter. Insgesamt hatte Sigrid acht Kinder zur Welt gebracht, doch nur diese drei waren am Leben geblieben. Rorik, der zweite Sohn, war ein Jahr jünger als ich. Als er mich das erste Mal sah, ging er sofort mit fliegenden Fäusten auf mich los, doch ich warf ihn auf den Rücken und war gerade dabei, ihm die Luft abzuschnüren, als Ragnar dazwischenfuhr, unsere Köpfe aneinander stieß und uns aufforderte, Freundschaft zu schließen. Sein ältester Sohn, der ebenfalls Ragnar hieß, war achtzehn Jahre alt und schon ein Mann. Er hielt sich damals in Irland auf, wo er zu kämpfen und zu töten lernte, um ein Graf zu werden wie sein Vater. Später sollte ich ihn kennen lernen. Er war seinem Vater sehr ähnlich: immer heiter, von überschwänglichem Frohsinn, voller Begeisterung für alles, was er tat, und freundlich gegenüber denen, die ihm Respekt zollten.
Wie für all die anderen Kinder gab es auch für mich viel zu tun. Immer musste Feuerholz und Wasser geschleppt werden, und zwei Tage lang half ich, den grünen Belag vom Rumpf eines an Land gezogenen Schiffes abzuflämmen. Mir gefiel die Arbeit, obwohl ich mich allzu häufig mit dänischen Jungen schlagen musste, die allesamt größer waren als ich. Ich hatte ständig blaue Augen, geschwollene Knöchel, verstauchte Handgelenke und lockere Zähne. Mein übelster Gegner war ein Junge namens Sven, der zwei Jahre älter war und sehr groß gewachsen. Er hatte ein rundes, nichts sagendes Gesicht, schlaffe Wangen und ein
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