Das letzte Koenigreich
hatte ein Haus im benachbarten Tal bezogen, und es dauerte nicht lange, bis Sven unsere Burg im Wald entdeckte, und als sich der erste Winterfrost auf das welke Laub legte und die Beeren in Rotdorn und Stechpalme glänzten, wurden unsere Spiele wilder. Statt uns in zwei Lager aufzuteilen, traten wir jetzt mit vereinten Kräften gegen Sven und seine Bande an, die uns ständig attackierten. Es war zwar bloß ein Spiel, das keinen großen Schaden anrichtete, aber ein Spiel eben, das Sven ständig gewann. Er stahl uns den Dachsschädel, an dessen Stelle wir dann einen Fuchskopf auf den Giebel setzten, und Thyra rief Svens Gefährten, die sich im Wald versteckt hielten, zu, dass sie den Fuchsschädel mit Gift beschmiert habe, was wir sehr klug von ihr fanden. Doch am nächsten Morgen war unsere Burg niedergebrannt.
«Ein Burgenbrennen», meinte Rorik bitter.
« Burgenbrennen ?»
«Das gibt es in meiner Heimat», erklärte Rorik. «Du gehst zur Burg des Feindes und brennst sie nieder. Dabei musst du darauf achten, dass alle, die in der Burg wohnen, zu Tode kommen. Wenn jemand überlebt, wird er Rache nehmen. Du greifst also in der Nacht an, umzingelst die Burg und tötest jeden, der den Flammen zu entkommen versucht.»
Doch Sven hatte keine Burg. Es gab da zwar das Haus seines Vaters, und wir stellten uns vor, es in Brand zu setzen und alle, die nach draußen stürzten, aufzuspießen, doch das war natürlich nur prahlerisches Jungengeschwätz ohne Folgen. Stattdessen bauten wir eine neue Burg tiefer im Wald. Sie war nicht so stattlich wie die alte, nicht annähernd so wetterfest und kaum mehr als ein Unterschlupf aus Asten und Farnkraut. An den notdürftigen Giebel nagelten wir den Schädel eines Wiesels und versicherten uns, nach wie vor unser eigenes Königreich zu haben.
Doch Sven wollte unsere vollständige Niederlage. Ein paar Tage später gingen Rorik, Thyra und ich, nachdem wir unsere Pflichten im Haus erfüllt hatten, zu unserer neuen Burg in den Wald. Während Thyra ihre Fäden spann, stritten Rorik und ich darüber, wo die besten Schwerter geschmiedet würden. In Dänemark, behauptete er, wogegen ich der Überzeugung war, dass England diesen Preis verdiene. Wir waren zu jung und unerfahren, um wissen zu können, dass die besten Klingen aus dem Frankenland stammten. Jedenfalls war die Lust am Streit schnell verflogen, und so beschlossen wir, mit unseren zugespitzten Eschenstöcken, die uns als Lanzen dienten, auf Wildschweinjagd zu gehen. Wir hätten es nie wirklich gewagt, ein so gefährliches Tier wie einen Eber anzugreifen, bildeten uns aber ein, große Jäger zu sein. Doch kaum hatten sich die beiden großen Jäger auf die Pirsch gemacht, als Sven über uns herfiel. Er hatte nur zwei seiner Freunde bei sich, trug aber statt seines Holzschwertes eine echte Klinge, die länger war als sein Arm und im fahlen Licht des Wintertags bedrohlich schimmerte. Rorik und ich nahmen Reißaus, als er, wie ein Verrückter brüllend, auf uns zustürmte. Er verfolgte uns und brach durchs Gebüsch wie der wilde Eber, auf den wir hatten Jagd machen wollen, und nur, weil wir flinker und schneller waren, konnten wir seiner teuflischen Klinge entkommen. Wenig später hörten wir Thyra schreien.
Wir schlichen zurück, auf der Hut vor dem Schwert, das Sven aus dem Haus seines Vaters mitgenommen haben musste, doch an unserer armseligen Hütte angelangt, mussten wir feststellen, dass Thyra verschwunden war. Ihre Spindel lag auf dem Boden, und die Wolle war voller Laub und Dreck.
Schwerfällig und plump, wie Sven mit all seiner Kraft war, hatte er eine Spur hinterlassen, der wir folgen konnten. Bald hörten wir auch Stimmen. Wir erklommen einen Hügel, auf dem hohe Buchen standen, und stiegen in das Tal unseres Feindes hinab. Sven hatte keine Wachen aufgestellt und genoss seinen Sieg auf einer Lichtung, die offenbar seine Zuflucht im Wald war. In der Mitte der Lichtung stand eine aus Steinen gemauerte Feuerstelle, und ich fragte mich, warum wir uns keine solche Feuerstelle gebaut hatten. Er hatte Thyra an einen Baum gefesselt und ihr das Hemd ausgezogen. Da war nichts zu sehen - sie war ja noch ein kleines Mädchen, erst acht Jahre alt, also vier oder fünf Jahre vom heiratsfähigen Alter entfernt. Aber sie war hübsch, und deshalb hatte Sven sie halb entkleidet. Mir fiel auf, dass seine beiden Freunde einen beklommenen Eindruck machten. Immerhin war Thyra die Tochter des Grafen Ragnar, und was als Streich angefangen hatte, wurde
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