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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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wurden. Um an den verdreckten Strand der Neustadt zu gelangen, mussten wir eine dieser Lücken zwischen den Stützen passieren, die aber für die ausgelegten Ruder unserer Schiffe nicht breit genug waren. «Das wird spannend», meinte Ragnar trocken.
    «Können wir das überhaupt schaffen?», fragte ich.
    «Die haben es geschafft», sagte er und deutete auf die am Strand liegenden Schiffe jenseits der Brücke. «Dann schaffen wir es auch.» Wir hatten Anker geworfen und warteten auf den Rest der Flotte. «Die Franken bauen solche Brücken über all ihre Flüsse. Weißt du, warum?»
    «Um auf die andere Seite zu kommen?» Diese Antwort erschien mir nahe liegend.
    «Um uns aufzuhalten», erklärte Ragnar. «Wenn ich Lundene regierte, wäre diese Brücke längst repariert. Seien wir also den Engländern dankbar, dass sie sich nicht darum gekümmert haben.»
    Wir warteten auf den Höhepunkt der Flut aus dem Unterlauf, der gegen die wirbelnde Strömung des Flusses drückte und diese für kurze Zeit zum Erliegen brachte. Das war unsere Gelegenheit, sieben oder acht Schiffe durch die Lücke zu bringen Als das Wasser seinen höchsten Stand erreicht hatte, ruderten wir mit voller Kraft auf die Lücke zu, um möglichst viel Fahrt aufzunehmen, und dann, im letzten Moment, stellten wir die Ruderblätter hoch, damit sie nicht an die verrotteten Pfeiler stießen, und das Schiff sollte von seinem Schwung durch die Lücke getragen werden. Zwei Schiffe scheiterten beim ersten Versuch. Ich verfolgte, wie sie zurückgespült wurden, mit krachenden Ruderblättern gegen einen Pfeiler prallten und mit fluchenden Mannschaften stromabwärts trieben. Die Windviper aber schaffte es, obwohl auch sie unter der Brücke fast zum Stillstand kam. Doch es gelang uns, die vorderen Ruder wieder ins Wasser zu bringen, und so arbeiteten wir uns ganz langsam von dem Strömungssog der Lücke weg, bis uns Männer von zwei auf der anderen Seite ankernden Schiffen Leinen zuwarfen und uns von der Brücke wegzogen, bis wir plötzlich wieder in ruhigem Wasser waren und ans Ufer rudern konnten.
    Am Südufer, jenseits der Sümpfe, wo auf flachen Hügeln Bäume wuchsen, hatten Reiter Posten bezogen, um uns zu beobachten. Es waren Westsachsen, die unsere Schiffe zählten, um die Stärke unserer Großen Armee abzuschätzen. So nannte Halfdan unser Heer, die Große Armee der Dänen, obwohl von groß kaum die Rede sein konnte. Geplant war, in Lundene auf weitere Schiffe zu warten und darauf, dass die Fußtruppen, die auf den langen Römer-
    Straßen in den Süden marschierten, zu uns stießen. Wessex konnte warten, während sich die Dänen sammelten.
    Brida, Rorik und ich nutzten die Zeit, um Lundene zu erkunden. Rorik war wieder krank gewesen, und Sigrid hatte zu verhindern versucht, dass er mit dem Vater reiste, seinem Drängen aber schließlich nachgegeben, zumal Ragnar ihr versichert hatte, dass ihn die Fahrt übers Meer heilen werde. Und so war Rorik mit uns in Lundene. Er war zwar bleich, aber nicht krank und ebenso begeistert von der Stadt wie ich. Ragnar verlangte, dass ich meine Armreife und das Schwert ablegte, da die Stadt, wie er sagte, voller Diebe sei. Zuerst durchstreiften wir den neueren Teil und wanderten durch übel stinkende Gassen, wo Handwerker Leder gerbten, Bronze trieben oder Eisen schmiedeten. Frauen saßen an Webstühlen, in einem Hinterhof wurden Schafe geschlachtet. Es gab Geschäfte, in denen Steingut, Salz, lebende Aale, Brot, Kleider, Waffen und alles nur Erdenkliche verkauft wurden. Kirchenglocken läuteten ohrenbetäubend zu jeder Gebetsstunde und zu jedem Trauerzug auf den Friedhof. Hundemeuten liefen durch die Straßen, überall saßen rote Milane, und wie dichter Nebel hing der Rauch über den schwarz verfärbten Reetdächern. Ein blutig gepeitschter Ochse zog einen so hoch mit Reet beladenen Karren , dass das Gefährt unter dem riesigen Haufen verschwand und auf beiden Seiten der Gasse immer wieder aneckte. Männer beschimpften die Knechte, die den Ochsen antrieben, und beschwerten sich, dass der Karren überladen sei. Zu einer Schlägerei kam es schließlich, als die Wagenladung ein großes Stück aus einem faulenden Strohdach riss. Überall waren Bettler: blinde Kinder, Frauen ohne Beine, ein Mann mit einem nässenden Geschwür auf der Wange. Da waren Leute, die in Sprachen redeten, die ich noch nie gehört hatte, und andere, die seltsame fremdländische Kleidung trugen. In der Altstadt, die wir am nächsten Tag erkundeten, sah

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