Das letzte Koenigreich
markant, doch sein Äußeres trog. Ohne je zu lächeln, blickte er dem Feind mit seinen klugen braunen Augen unverwandt ins Gesicht. Er war bis zur Ermüdung beharrlich, blieb aber immer ruhig und hob auch dann die Stimme nicht, wenn die Dänen zu schreien anfingen. «Wir wollen Frieden», erklärte er wieder und wieder. «Ihr habt ihn ebenso nötig wie mein Volk, dem ich verpflichtet bin, und darum werdet Ihr aus unserem Land abziehen.» Seine Priester, zu denen auch Beocca zählte, schrieben jedes Wort mit, sie füllten kostbare Pergamentbögen, Zeile um Zeile, und verbrauchten wohl jeden Tropfen Tinte, der in Wessex aufzutreiben war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemals irgendwer diese Mitschriften durchgelesen hat.
Es wurde jedoch nicht den ganzen Tag über verhandelt. Alfred bestand darauf, erst dann mit den täglichen Gesprächen zu beginnen, wenn er den Gottesdienst besucht hatte. Mittags legte er eine Pause für Gebete ein, und noch ehe die Sonne unterging, verabschiedete er sich, um in die Kirche zu gehen. Wie dieser Mann betete! Aber so geduldig er auch verhandelte, so unnachgiebig war er, und am Ende musste sich Halfdan dazu bereit erklären, aus Wessex abzuziehen. Dafür verlangte er allerdings eine einmalige Zahlung von sechstausend Silberstücken. Und um sicherzustellen, dass die Gegenseite dieser Forderung auch nachkommen würde, bestand er darauf, mit seinen Truppen in Readingum zu bleiben. Dort musste Alfred täglich drei Wagenladungen Pferdefutter sowie fünf Wagenladungen Roggen abliefern, und erst, wenn alles Silber ausgezahlt sei, würde er Wessex mit seinen Schiffen und seinen Heiden verlassen. Alfred drängte auf einen Rückzug der Dänen bis nach Lundene, doch weil er endlich Frieden wollte, nahm er Halfdans Forderungen schließlich an, und so wurde unter feierlichen Schwüren auf beiden Seiten der Friede geschlossen.
Ich habe den Abschluss der Verhandlungen nicht miterlebt, auch Brida nicht. Wir waren zwar die meiste Zeit über zugegen und dienten Ravn in der großen römischen Halle, in der die Gespräche stattfanden, als Beobachter, doch als uns langweilig und er unserer Langeweile überdrüssig wurde, schickte er uns fort, worauf wir eilends das Bad aufsuchten, um zu schwimmen. Ich liebte dieses Wasser.
Dort schwammen wir auch am letzten Tag der Verhandlungen. Wir waren ganz allein unter dem hohen, hallenden Gewölbe. Vor einem Felsen, aus dem Wasser ins Becken sprudelte, stand ich besonders gern. Auch an diesem Nachmittag. Ich hatte die Augen geschlossen und ließ die Flut auf mich einstürzen, als ich plötzlich Bridas Schreien hörte. Ich riss die Augen auf und wurde im selben Moment von kräftigen Händen an den Schultern gepackt. Meine nasse Haut war glitschig, weshalb ich mich zunächst befreien konnte, aber dann sprang ein in Leder gekleideter Mann ins Becken, packte mich erneut und befahl mir, leise zu sein. Zwei andere Männer wateten durchs Wasser und trieben Brida mit langen Stöcken in die Enge. «Wer seid ihr?», fragte ich auf Dänisch.
«Still, mein Junge», bekam ich zur Antwort. Die Männer, ein Dutzend an der Zahl, waren Westsachsen. Sie zogen uns aus dem Wasser, wickelten uns in große, stinkende Tücher, sammelten unsere Kleider ein und eilten mit uns davon. Ich rief um Hilfe und handelte mir einen Schlag auf den Schädel ein, der einen Ochsen betäubt hätte.
Man warf Brida und mich bäuchlings auf Pferde, dann stiegen Reiter hinter uns in den Sattel und galoppierten mit uns davon. Erst als wir die Kuppe des hohen Hügels im Süden von Baöum erreicht hatten, wurden uns die Tücher abgenommen, und ich erblickte einen strahlenden Beocca. «Ihr seid gerettet, Herr», rief er. «Dank dem Allmächtigen gerettet! Wie auch das gnädige Fräulein», fügte er mit Blick auf Brida hinzu.
Ich starrte ihn fassungslos an. Gerettet? Entführt wohl eher. Brida schaute mich an und schüttelte kaum merklich den Kopf, was ich als Aufforderung deutete, vorsichtig zu sein und den Mund zu halten. Dann zogen wir unsere Kleider wieder an.
Vor dem Bad hatte ich mein Amulett und die Armreife in den Gürtelsack gesteckt, und dort ließ ich sie, als uns Beocca in eine nahe gelegene Kapelle scheuchte, einen mit Stroh gedeckten Holzschuppen, der kaum größer war als ein Schweinestall. Nachdem er sich dort bei seinem Gott für unsere Rettung bedankt hatte, führte er uns in ein Haus, in dem er uns mit Alfreds Frau A Elswith bekannt machte, die von einem Dutzend Frauen, drei von ihnen
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