Das letzte Koenigreich
Alfred aber dachte bereits weit voraus, an eine Zeit nämlich, in der es nur ein englisches Königreich und einen einzigen englischen König geben würde. Ich blickte ihn nur verwundert an, und er lächelte mir zu. «Du gehst also nach Winburnan, junger Mann», entschied er und fügte hinzu, «je eher, desto besser.»
«Wieso das?», fragte A Elswith, misstrauisch wegen der plötzlichen Eile.
«Die Dänen, meine Liebe, werden nach den beiden Kindern suchen», erklärte Alfred. «Wenn sie erfahren, dass sie bei uns sind, werden sie vermutlich ihre Auslieferung verlangen.»
«Aber Ihr sagtet doch selbst, dass alle Geiseln befreit würden», entgegnete A Elswith.
«War Uhtred eine Geisel?», fragte Alfred sanft und musterte mich. «Oder könnte es sein, dass er Gefahr lief, ein Däne zu werden?» Er ließ die Frage im Raum stehen, und ich versuchte gar nicht erst, sie zu beantworten. «Wir müssen aus dir jetzt einen echten Engländer machen», fuhr er fort. «Also musst du morgen nach Süden ziehen. Du und das Mädchen.»
«Das Mädchen soll nicht unsere Sorge sein», sagte A Elswith abschätzig. Brida war in die Küche geschickt worden, um mit den Mägden zu essen.
«Wenn die Dänen erfahren, dass sie Edmunds Bastard ist», bemerkte einer der beiden Aldermänner, «werden sie mit ihr sein Andenken besudeln.»
«Aus ebendiesem Grund hat sie ihr Geheimnis vor den Dänen bewahrt», meldete ich mich zu Wort.
«Dann scheint ja doch noch etwas Gutes in ihr zu stecken», räumte A Elswith ein und legte sich ein weich gekochtes Ei auf den Teller. «Aber was gedenkt Ihr zu tun», erkundigte sie sich bei ihrem Gemahl, «wenn die Dänen Euch vorwerfen, die Kinder befreit zu haben?»
«Dann werde ich lügen», antwortete Alfred zur Entrüstung seiner Frau, doch der Bischof lispelte, dass Gott eine solche Lüge verzeihe.
Ich wollte nicht nach Winburnan gehen, und das lag weniger an meiner Treue zu den Dänen als an Schlangenhauch. Ich hatte mein geliebtes Schwert bei Ragnars Dienern zurückgelassen und wollte es zurückhaben, ehe mich die Schicksalsmächte einer neuen Bestimmung zuführten. Außerdem gefiel mir die Aussicht nicht, mein Leben an Ragnars Seite für die spärlichen Freuden einer Klosterschule aufzugeben. Von Brida wusste ich, dass sie zu den Dänen zurückkehren wollte, und gerade weil Alfred darauf drängte, uns so schnell wie möglich aus Baöum wegzubringen, fanden wir bald unsere Gelegenheit zur Flucht.
Noch vor der Dämmerung brachen wir am nächsten Morgen auf, begleitet von einem Dutzend Krieger, die kein Hehl daraus machten, dass es ihnen missfiel, zwei Halbwüchsige nach Süden ins tiefste Wessex zu bringen. Ich bekam ein Pferd, während Brida mit einem Maultier vorlieb nehmen musste. Ein junger Priester namens Willibald war persönlich damit beauftragt worden, Brida in einem Nonnenkloster und mich bei Abt Hewald abzuliefern. Pater
Willibald war ein freundlicher, stets lächelnder Mann. Er konnte Vogelstimmen nachahmen und führte uns die Unterhaltung zwischen einer streitsüchtig krächzenden Wacholderdrossel und einer jubelnden Feldlerche vor, sodass wir laut lachen mussten. Dann ließ er uns raten, welche Vögel er nachahmte, und gab uns auch manches harmlose Rätsel auf, um uns die Reise angenehm zu machen. In guter Stimmung erreichten wir eine Siedlung, die hoch über einem sanften Flusslauf in tiefen Wäldern lag. Die Soldaten wollten unbedingt rasten und schoben als Begründung vor, dass die Pferde ausruhen müssten. «Sie brauchen ihr Ale», sagte Willibald und zwinkerte verständnisvoll.
Es war ein warmer Tag. Die Pferde wurden angebunden, die Soldaten bekamen Ale, Brot und Käse, setzten sich dann in einen Kreis, knurrten sich bei ihrem Würfelspiel an und überließen uns der Aufsicht Willibalds. Doch der junge Priester streckte sich im Heu aus und war bald eingeschlafen. Ich warf Brida einen Blick zu, sie sah mich an, und alles war ganz einfach. Wir schlichen ums Haus herum, liefen geduckt an einem riesigen Misthaufen vorbei, hinaus auf ein Feld, wo Schweine wühlten, überwanden eine Hecke und waren wenig später im Wald, wo wir beide ausgelassen zu lachen anfingen. «Meine Mutter bestand darauf, dass ich ihn Onkel nenne», sagte Brida mit ihrer verschüchterten Stimme. «Und die bösen Dänen haben ihn getötet.» Wir schütteten uns aus vor Lachen, doch dann besannen wir uns und machten uns so schnell wie möglich auf nach Norden.
Es dauerte eine Weile, bis die Soldaten anfingen,
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