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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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nach uns zu suchen. Später setzten sie auch eine Meute Schweißhunde auf uns an, doch wir waren bereits durch einen Fluss gewatet, hatten ein ums andere Mal die Richtung gewechselt und einen Hügel erklommen, auf dem wir uns versteckten. Den ganzen Nachmittag über war im Tal das Kläffen der Hunde zu hören. Offenbar wähnte man uns irgendwo am Flussufer, doch wir waren hoch oben im Wald, in Sicherheit und allein.
    Willibald und die Soldaten suchten nicht weniger als zwei Tage, kamen uns aber nicht einmal nahe, und am dritten Tag sahen wir Alfreds königlichen Reitertross auf der Straße am Fuß des Hügels nach Süden ziehen. Demnach waren die Verhandlungen in Baöum abgeschlossen worden. Wir konnten davon ausgehen, dass sich die Dänen nach Readingum zurückziehen würden, hatten aber keine Ahnung, wo Readingum lag. Wir wussten nur, dass wir auf dem Weg nach Baöum westwärts gezogen waren, und zwar entlang der Temes. Wenn wir auf die Temes stießen, würden wir ans Ziel gelangen und mussten uns nur darum kümmern, dass wir etwas zu essen fanden und nicht entdeckt wurden.
    Es war eine herrliche Zeit. Wir tranken Milch aus Kuh- und Ziegeneutern, bewaffneten uns mit dicken Knüppeln und jagten einem armen alten Mann, der duldsam auf einem Feld arbeitete, seinen kärglichen Verzehr aus Brot und Erbsenbrei ab. Wir fingen Fische mit bloßen Händen, worin Brida besonders geschickt war, und wir lebten in den Wäldern. Ich trug wieder mein Hammeramulett, und während Brida ihr hölzernes Kruzifix wegwarf, behielt ich mein silbernes, denn es war wertvoll.
    Nach ein paar Tagen begannen wir, im Schutz der Nacht zu wandern. Anfangs fürchteten wir uns, denn die Dunkelheit lockt die Sceadugengan aus ihren Verstecken. Bald aber war uns das Unheimliche fast vertraut, und wir folgten den Sternen, lernten, uns lautlos zu bewegen, und wurden eins mit den Schatten. In einer Nacht kam uns etwas Großes, Knurrendes gefährlich nahe, doch wir verjagten es mit lautem Geschrei und indem wir mit unseren Knüppeln aufs Dickicht einschlugen. Ein Eber? Vielleicht. Vielleicht war es aber auch einer jener gestaltlosen, namenlosen Sceadugengan, die einem im Traum das Blut in den Adern gerinnen lassen.
    Wir mussten eine Hügelkette mit kahlen Kuppen überqueren, wo es uns gelang, ein Lamm zu stehlen, ehe der Hirtenhund unsere Witterung aufnahm. In einem Wald an den nördlichen Ausläufern der Hügel machten wir ein Feuer und brieten das Fleisch, und in der nächsten Nacht gelangten wir an den Fluss. Wir wussten nicht, welcher Fluss es war, aber er war breit und verlief zwischen hohen Bäumen. Am Rand einer kleinen Ortschaft entdeckten wir ein rundes, aus Weidenruten geflochtenes Boot, das mit Ziegenhaut bespannt war. In der gleichen Nacht stahlen wir es und ließen uns darin mit der Strömung ostwärts treiben.
    Wir wussten es nicht, aber der Fluss war die Temes, und so kamen wir wohlbehalten nach Readingum.
    Rorik war gestorben. Er war lange krank gewesen, und obwohl es manchmal schien, als könne er sich erholen, war er seinem Leiden doch erlegen. An dem Tag, an dem Brida und ich in Readingum ankamen, wurde sein Leichnam dem Feuer übergeben. Ragnar stand vor dem Scheiterhaufen und sah mit Tränen in den Augen, wie der Körper seines Sohnes von den Flammen verzehrt wurde. Ein Schwert, das Zaumzeug seines Pferdes, ein Hammeramulett und ein kleines Schiffsmodell wurden mit dem Toten verbrannt, das geschmolzene Metall zusammen mit der Asche in ein großes Gefäß gegeben, das Ragnar am Ufer der Temes vergrub. «Jetzt bist du mein zweiter Sohn», sagte er an jenem Abend zu mir, und an Brida gewandt: «Du bist meine Tochter.» Er umarmte uns und dann betrank er sich. Am nächsten Morgen wollte er los reiten und Westsachsen töten, aber Ravn und Halfdan hielten ihn zurück.
    Die Waffenruhe hielt an, und nach drei Wochen trafen die ersten Silberlieferungen in Readingum ein, zusammen mit Viehfutter und Lebensmitteln. Alfred, so schien es, stand zu seinem Wort. Ragnar aber wurde von der Trauer niedergedrückt. «Wie soll ich es nur Sigrid sagen?», fragte er.
    «Nur einen Sohn zu haben ist schlimm für einen Mann», erklärte mir Ravn, «fast so schlimm, wie kinderlos zu sein. Ich hatte drei Söhne. Nur Ragnar ist mir geblieben. Und jetzt lebt nur noch sein Altester.» Ragnar der Jüngere war immer noch in Irland.
    «Er könnte einen weiteren Sohn zeugen», sagte Brida.
    «Nicht mit Sigrid», erwiderte Ravn. «Es wäre allerdings möglich, dass er

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