Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Ausgang. Die Mahlzeit schien ihr das letzte bißchen Konzentrationsfähigkeit geraubt zu haben.
»Muss arbei’n. Bissann.«
»Warte noch. Wenn du etwas verbrochen hättest, hätte ich dich längst eingebuchtet. Das weißt du genau. Ich will nur wissen, was du gesehen hast.«
Die Mahlzeit hatte Harrymarry so gut wie erledigt. Die Augen fielen ihr zu, die ganze Gestalt schien bereits zu schlafen. Das Scheppern eines Bratenwenders auf dem Grill ließ sie zusammenfahren. Sie zog eine Zigarette aus der Packung, die auf dem Tisch lag.
»Gut geschmeckt.«
Sie sprach zu den Überresten ihrer Mahlzeit und machte einen Lungenzug, ehe ihr die Augen aufs neue zufielen.
»Ich muß wissen, was du gesehen hast. Und ob da noch andere Leute waren. Ob du … hast du etwas gefunden? Hast du etwas mitgenommen?«
»Toter Kerl un’n Haufen Müll. Muß jetzt schlafn.«
Harrymarry nuschelte in ihre Jacke und hustete übel. Hanne erwog die Möglichkeit, die müde Frau bis zu dem in der Myntgate abgestellten Wagen zu bugsieren.
»Wo wohnst du, Harrymarry?«
Die Frage klang offenbar absurd genug, um Harrymarry für einen kurzen Moment aus dem Schlummer zu reißen. Sie kniff im grellen Licht der flackernden Neonröhren die Augen zusammen.
»Wo? Grad jetz hier.«
Damit war sie endgültig eingeschlafen. Ein leises Schnarchen war zu hören; ihre Lippen stießen ein kurzes Schnauben aus, das Hanne lächeln ließ. Die verkommene Gestalt, die die Hände brav auf den Knien übereinandergelegt hatte, saß quer zum Fenster. Die Zigarette hing zwischen zwei Fingern. Hanne nahm sie ihr vorsichtig ab und drückte sie im Aschenbecher aus.
»Die kann hier nicht schlafen«, sagte der Koch auf türkisch-norwegisch. »Nimm sie mit.«
»Ich hol nur schnell das Auto. Okay?«
Harrymarry war im Ein- und Aussteigen geübt. Mit schlafwandlerischer Sicherheit ließ sie sich auf den Beifahrersitz sinken und schnarchte weiter, bis sie die Wache passierten.
»Wohin fahn wir?«
»Nach Hause«, sagte Hanne. »Ich fahre nach Hause, und du kommst mit.«
Als sie vor dem niedrigen Wohnblock in Tøyen anhielt, war es bereits nach zwei Uhr. Zum Glück waren alle Fenster dunkel.
32
»Felice. Mit italienischem c. Wie in Cello. Nicht Feliße.«
»Tut mir leid. Doktor Felice.« Billy T. rieb sich den Arm und streifte seinen Hemdsärmel nach unten. »Witziger Name. Øystein Felice. Ein wenig … Gemischtwarenhandlung sozusagen.«
Der Arzt warf die Spritze in einen Pappkarton und wusch sich gründlich die Hände.
»Dann war der Besuch ja nicht ganz umsonst. Jetzt dürften Sie von der derzeitigen Grippewelle verschont bleiben. Meine Mutter ist Norwegerin. Mein Vater Italiener. Eigentlich hätte ich Umberto heißen sollen, nach meinem einen Großvater. Aber dann bekam ich den Namen des anderen Großvaters. Der stammte aus Valdres.«
Er lächelte zerstreut, als müsse er seinen seltsamen Namen so oft erklären, daß er dabei auf Autopilot schaltete. Nachdem er sich sorgfältig die Hände mit einem Papiertuch abgetrocknet hatte, steckte er einen Auszug aus seiner Patientenkartei in eine Plastikhülle.
»Hier«, sagte er und reichte ihn Billy T.. »Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Da der Patient tot ist, kann er mich nicht von meiner Schweigepflicht entbinden. Deshalb muß ich nach meinen Vorstellungen von Diskretion selbst entscheiden, was ich Ihnen sage. Nach dem, was Sie mir am Telefon erzählt haben, weist Brede Zieglers Krankengeschichte nichts von Interesse auf. Für die Polizei, meine ich.«
»Wissen Sie«, sagte Billy T. sauer und riß den inhaltsarmen Umschlag an sich, »man sollte meinen, es sei schon mit Schweigepflicht verbunden, diesen Ziegler auch nur gekannt zu haben.«
»Was?«
»Scheißen Sie drauf. Aber …« Er blätterte kurz in den Papieren. »Der Mann litt also unter Kopfschmerzen und einem kaputten Knie«, sagte er. »Das war alles.«
»Das habe ich durchaus nicht gesagt. Aber ich habe auch nicht das Gegenteil behauptet. Ich sage nur, daß …«
Billy T. stöhnte laut, beugte sich in dem engen Sessel vor, stützte den Kopf in die Hände, wiegte sich hin und her und stieß ein leises Jammern aus.
»Ich bin leider kein Psychiater«, sagte Dr. Felice trocken. »Aber ich kann Ihnen jemanden empfehlen, falls Sie …«
Billy T. richtete sich auf und holte tief Luft.
»Bei den Kopfschmerzen hat es sich also nicht um Migräne gehandelt«, sagte er resigniert. »Und Medikamente hat er auch nicht genommen.«
»Nein. Ich würde
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