Das letzte Opfer (German Edition)
Sarah.
«Wohin wohl», brüllte Norbert. Er war schon auf dem Hof.
Sarah sprang auf und rannte hinter ihm her. «Warte, du fährst so nicht, ich fahre.»
Scheib beeilte sich, ebenfalls ins Freie zu kommen, ehe beide weg waren. Sein Wagen stand in Paffendorf vor Klinkhammers Grundstück. Er musste nach Frechen. Sie nahmen ihn mit und begriffen beide, wo Karen gefunden worden war. Norbert reagierte nicht. Sarah erkundigte sich nach Barbara.
«Sie wurde auch gefunden», sagte er.
«Aber nicht lebend», stellte Sarah fest.
«Nein», sagte er.
Auf Höhe der Dachdeckerei bat er sie, anzuhalten. Hundert Meter weiter standen etliche Fahrzeuge, auch der Wagen eines Leichenbestatters. Norbert schaute starr geradeaus, trommelte mit den Fingern auf das Armaturenbrett. Während der Fahrt hatte er kein Wort gesprochen. Als Scheib ausstieg, drehte Norbert sich zu ihm um und fragte mit emotionsloser Stimme: «Warum wollten Sie nicht, dass Herr Klinkhammer hierher fuhr?»
«Weil ich nicht erwartet habe, dass hier etwas zu finden wäre», antwortete er nicht ganz wahrheitsgemäß, aber mit Karen hatte er wirklich nicht gerechnet.
«Ich habe Ihnen gesagt, dass Marko hier war», erklärte Norbert.
«Nein», korrigierte er. «Sie sagten, es habe sich eine Gardine bewegt.»
«Und dass jemand das Telefon abgenommen hat», erinnerte Norbert. «Vielleicht war es Barbara. Wissen Sie denn so genau, wie lange er sich mit den Frauen amüsiert, ehe er sie umbringt?»
«Warum haben Sie nicht die Polizei informiert?», fragte er. «Spätestens als Sie von Herrn Lohmann hörten, dass er sich noch in München aufhielt, hätte es doch dazu allen Grund gegeben.»
Norbert schürzte die Lippen und nickte versonnen. «Sie wissen, wie man sich aus der Affäre zieht, was?»
Statt einer Antwort warf Scheib die Autotür zu. Sarah wendete den Wagen und fuhr zurück zur Hauptstraße. Er ging langsam die hundert Meter. Nun waren es zwei Leben auf seinen Schultern. Zwei Opfer, ein Fundort, da musste man von einem Täter ausgehen. Niemand durfte daran zweifeln, auch er nicht.
Am liebsten hätte er sich in einen Winkel verkrochen und den Kopf gegen eine Wand geschlagen. Er fühlte sich so alt, so müde, unfähig und entsetzlich schuldig, zweifelte an Gott und der Welt, verzweifelte an sich selbst. Barbara Lohmanns Tod war tragisch, aber bei ihr konnte er noch denken, ihr Ende bewahre etliche andere Frauen vor diesem Schicksal. An Karen glaubte er zu ersticken.
Klinkhammer stand vor dem Haus, rauchte eine Zigarette und unterhielt sich mit einer sehr energisch wirkenden Person Ende vierzig, die ihm nur bis zur Schulter reichte, Oberstaatsanwältin Carmen Rohdecker. Sie war auch erst vor zwanzig Minuten eingetroffen und nicht sonderlich erbaut, zwischen Tür und Angel zu erfahren, dass es nicht nur um eine Tote und eine Schwerstverletzte ging, sondern es noch neun Opfer mehr gab, von denen aber sechs noch nicht gefunden waren. Mit merklicher Zurückhaltung sagte Klinkhammer: «Da kommt Herr Scheib, er kann dir das alles viel besser erklären als ich.»
Scheib hatte das Gefühl, er könne nie wieder etwas erklären. Carmen Rohdecker bestand auch nicht sofort darauf. Elf Opfer! Ihr reichten die zwei für den Anfang. Statt einer Begrüßung sagte sie: «Na, dann gehen wir mal rein und holen uns eine Nase voll.»
Klinkhammer zog es vor, im Freien noch eine Zigarette zu rauchen. Der Geruch legte sich wie ein Schmierfilm auf Mund und Nase. Neben der Couch standen ein Kommissar aus Köln und ein Gerichtsmediziner. Carmen Rohdecker machte sie kurz miteinander bekannt und ließ sich über den Stand der Dinge informieren.
Scheib bemühte sich zu verstehen, wie Stichler in diesem Ausnahmefall vorgegangen war. Die Wolldecke war entfernt, aber sonst noch nichts verändert worden. Die Tote war vollständig bekleidet. Sogar Sandalen trug sie noch. Nichts stimmte mit den Fundsituationen Heckel, Brandow und Bergholt überein. Aber bei den drei Frauen hatte der Mörder auch nicht in die Wohnungen gehen und sich dort gründlich umtun können. Woher hatte er gewusst, dass er das hier riskieren durfte? Er hatte doch nicht einkalkulieren können, dass Barbaras Bruder sich tagelang in München aufhielt.
Dem Anschein nach Tod durch Erdrosseln, erklärte der Gerichtsmediziner. Das schnürsenkelähnliche Ding um den Hals sei eine längere, ehemals wohl weiße Kordel. Für die schwarze Färbung sei die fortgeschrittene Verwesung verantwortlich und dafür die Temperaturen,
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