Das letzte Opfer (German Edition)
die in den vergangenen Tagen im Zimmer geherrscht haben mussten. Der Todeszeitpunkt ließ sich unter diesen Voraussetzungen nur grob schätzen.
«Sie wurde ertränkt», sagte Scheib wie in Trance. «Am Ostersamstag zwischen siebzehn und einundzwanzig Uhr. Die Kordel gehört zu ihrer Jeans. Er zurrt den Opfern immer etwas um den Hals, was sie bei sich haben. Während der Nacht hat sie irgendwo im Wald gelegen. Am nächsten Morgen wurde sie in aller Frühe weggeholt.» Genauso hatte Stichler es doch erklärt – und genossen.
Der Gerichtsmediziner zog verwundert die Augenbrauen hoch. Carmen Rohdecker erkundigte sich konsterniert: «Wieso immer, ich denke, es wurden erst drei Opfer gefunden.»
«Ja», sagte er. «Aber das Muster ist in diesen Fällen gleich.»
Carmen Rohdecker hatte genug gesehen und gerochen. Als sie das Zimmer verließen, hörte er den Kommissar sagen: «Ich glaub’s nicht. Hat der Spinner tatsächlich hier noch einen gefunden, an dem er seine Theorie beweisen kann.»
«Haben die was gegen Sie?», fragte Carmen Rohdecker.
«Ich habe sie mehrfach beauftragt, Geschäftsreisende zu überprüfen», erklärte er.
«War Stichler dabei?», fragte sie, kramte einen Flakon aus ihrer Tasche und nebelte sich mit Parfüm ein. Er schüttelte den Kopf. «Gut», sagte sie, verlangte Klinkhammer eine Zigarette ab, telefonierte mit der Uni-Klinik, kündigte ihren Besuch an und verlangte, Karen in einen Zustand zu versetzen, der es erlaube, ihr ein paar Fragen zu stellen. Welche Auskunft sie bekam, hörte er nicht, sah nur, dass ihre Miene sich verdüsterte. Dann wurde sie laut, ordnete an, ein paar Professoren aus dem Wochenende zu pfeifen, und wurde noch lauter, um ihrem Begehren Nachdruck zu verleihen: «Es geht alles! Stellen Sie sich einfach vor, Sie hätten die Frau des Kanzlers im OP. Da würden Sie sich mehr als ein Bein ausreißen.»
Anschließend meinte sie: «Sonntagmittag ist ein ungünstiger Zeitpunkt für ein Wunder. Da sind die hohen Herren auf dem Golfplatz oder sonst wo. Von ein paar übermüdeten Assistenten darf man nicht zu viel erwarten. Die trauen sich nicht mal, sie mit all diesen Brüchen in den CT zu schieben. Angeblich ist keiner da, der das Ding bedienen kann. Wahrscheinlich hat sie innere Blutungen. Aber das müssen wir ihrem Mann nicht auf die Nase binden. Reden wir eben zuerst mit ihm, das heißt, ich rede.» Sie wandte sich an Klinkhammer: «Kommst du mit?»
Klinkhammer nickte, trat seine Zigarette aus, zündete sich sofort eine neue an und erklärte: «Aber nur nach Hürth. Ich muss noch eine Kopie von der Diskette machen lassen für Herrn Scheib.» Er grinste kläglich und fügte hinzu. «Es wäre mir auch lieber, wenn er mich fährt. Ich fühle mich nicht so besonders.»
Er wollte nur etwas loswerden, was besser unter vier Augen gesagt wurde. Kaum hatten sie im Auto Platz genommen, meinte Klinkhammer: «Das war wohl ein Irrtum. Als vorgetäuschter Suizid wird das nicht durchgehen. Man sollte sich seiner Sache nie zu sicher sein.» Er deutete auf Carmen Rohdeckers Wagen, der gerade abfuhr. «Sie wollte wissen, was mich auf die Idee gebracht hat, in das Haus einzusteigen. Falls sie das von Ihnen noch einmal hören möchte, Sie haben mich geschickt, weil Sie mit Dierden beschäftigt waren.»
«Dierden wird erklären, dass ich Sie davon abhalten wollte», sagte Scheib. «Mir hat er das schon vorgeworfen.»
«Er soll das Maul nicht zu weit aufreißen», erwiderte Klinkhammer. «Sonst stopfe ich ihm was rein, woran er sich verschluckt. Wenn er gestern Abend schon mit seiner Beziehung zu den Lohmanns rausgerückt wäre, hätte sie nicht die ganze Nacht und den halben Tag so gelegen. Wie kann man einen Menschen so zurichten? Für eine Mordkommission wäre ich wirklich nicht der richtige Mann. Ich könnte so einem Scheusal nicht freundlich gegenübertreten. Wenn Stichler mir jetzt vor die Fäuste käme, ich würde ihm sämtliche Zähne ausschlagen. – Mein Gott, ist mir schlecht.»
Scheib fühlte sich um keinen Deut besser und war erleichtert, dass es in Hürth keine längere Befragung gab.
Marko Stichler hatte sich nun doch um einen Rechtsbeistand bemüht und saß mit einem Mann in seinem Alter im Verhörraum, als sie eintrafen. Sein Anwalt stellte sich als Doktor Brand vor und verlangte als Erstes, sein Mandant sei umgehend frei zu lassen. Die Festnahme eines Mannes, der nichts weiter getan habe, als in ein verlassenes Haus zu kommen und ein paar Seiten am Computer zu lesen,
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