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Das letzte Opfer (German Edition)

Das letzte Opfer (German Edition)

Titel: Das letzte Opfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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dementsprechend niedrig. Und vor dem Haus stand eine große Mülltonne, von der aus ein erwachsener Mann das Fenster mit der zu dick aufgetragenen Farbschicht mühelos erreichte.
    Aber nun hatten sie die Leiter einmal dabei. Der Nachbar hielt sie fest, während Klinkhammer hinaufstieg. Das Fenster zu öffnen war eine Kleinigkeit, er musste nur dagegen drücken, da schwang ein Flügel nach innen. Als er ins ehemalige Elternschlafzimmer einstieg, verfluchte er sich für seine Eigenmächtigkeit und den Scherz, der keiner gewesen war.
    Die Kölner Kripo hatte tatsächlich mal eine Leiche in einem Schrank auf einem Balkon übersehen. Er roch sie sofort und suchte in seinen Hosentaschen nach einem Tuch. Seine Frau mochte keine Papiertücher, schwor auf die großen, blütenweißen aus Stoff, die einen besseren Eindruck machten, wenn man sie weiterreichte, damit jemand seine Tränen trocknen konnte. Sie hatte eine sonderbare Vorstellung von den Aufgaben eines Polizisten im nördlichen Erftkreis. Er mochte ihr noch hundertmal erklären, dass er seiner Klientel niemals ein Taschentuch reichen müsste. Wenn Ines nicht gerade beruflich unterwegs war, steckte sie ihm jeden Morgen ein frisches Tuch in die Jeans. Ausgerechnet heute hatte er sie zum Ausschlafen verdonnert.
    Er beugte sich aus dem Fenster, um frische Luft zu schnappen und den notwendigen Anruf zu tätigen. Natürlich besaß auch er ein Handy, nicht dienstlich, seine Frau hatte ihm privat eins aufgenötigt, weil sie meinte, es habe unbestreitbare Vorteile, jederzeit erreichbar zu sein. Er fand, es hatte auch Nachteile, aber jetzt war er dankbar für ihre Hartnäckigkeit, sonst hätte er die Leiter wieder hinuntersteigen und hundert Meter zurücklaufen müssen.
    Der Dachdeckermeister stand am Fuß der Leiter, schaute gespannt zu ihm hoch und erkundigte sich: «Alles in Ordnung?»
    «Nein», sagte er, informierte das elfte Kommissariat in Hürth, rief auch noch rasch zu Hause an und bat seine Frau, sie möge ihre Freundin auf den Weg bringen, er brauche sie sofort. Der Gestank nahm ihm den Atem, obwohl er am offenen Fenster stand.
    Als er sich wieder umdrehte, fiel sein Blick auf ein winziges Duftkissen, es lag auf dem Nachttisch. Ersatzweise presste er es gegen Mund und Nase. Es hatte wohl mal nach Lavendel gerochen, jetzt roch es muffig, aber immer noch besser als der Tod. Er hatte so etwas noch nie gerochen.
    Es war elend heiß, seit Tagen herrschten draußen Temperaturen wie im Hochsommer. Aber draußen ging hin und wieder noch etwas Wind. In dem Haus stand die Luft zum Schneiden dick. Mehr als dreißig Grad trieben ihm Schweißperlen auf die Stirn.
    Auf der Treppe wurde ihm übel, in dem schmalen Hausflur konnte er den Brechreiz kaum noch unterdrücken. Ihm graute schon im Voraus vor dem Anblick, der sich ihm bieten musste. Um es noch ein paar Sekunden hinauszuzögern, hielt er Ausschau nach dem Zettel, den Norbert am Ostersonntag unter der Haustür durchgeschoben haben wollte. Auf den Stufen, die von der Tür in den Flur führten, war aber nichts. Neben dem Treppenaufgang stand eine Telefonbank mit dem Apparat darauf, daneben lagen drei Briefumschläge und eine Handtasche.
    Er erreichte die Tür zum Wohnzimmer und stolperte fast über sie, weil er in der ersten Sekunde nur die Ursache des Gestanks, mit einer fleckigen Wolldecke zugedeckt bis zum Hals, auf einer abgewetzten Couch liegen sah. Sie krümmte sich hinter der Tür auf dem Holzfußboden. Wie ein Embryo lag sie da, den Kopf eingezogen, das Kinn fast auf der Brust. Die Fußknöchel mit braunem Klebeband gefesselt, die Handgelenke ebenso, wobei die Arme über den Kopf gereckt waren. Der rechte ragte in unnatürlichem Winkel unter dem Körper hervor, der linke war dick angeschwollen, sah aus wie ein rot-blauer Gummischlauch. Mit der rechten Wange lag sie auf einem knochentrockenen Wischlappen, als habe sie zuletzt versucht, noch ein paar Tropfen Feuchtigkeit aus dem Putztuch zu saugen. Zwischen ihr und dem Tisch lag ein umgekippter Eimer.
    Klinkhammer war überzeugt, sie sei ebenso tot wie das Bündel Mensch unter der fleckigen Wolldecke auf der Couch. Von ihrem Gesicht sah er nicht mehr als die blutunterlaufene Stirn, auf der sich Fliegen tummelten. Es kostete ihn Überwindung, sich hinunterzubeugen und die Fliegen zu verscheuchen. Nur darum ging es zuerst, um ein letztes bisschen Würde.
    Als die Insekten endlich in die Flucht geschlagen waren, sah er den Klebestreifen über ihren Augen. Obwohl er genau

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