Das letzte Opfer (German Edition)
gegangen. Der Gedanke, Christa anzurufen, kam Jasmin nicht. Was hätte ihre «Mama» ausrichten sollen? Sie traute sich ja nicht mal mit ihrem Benz auf die Straße. Christa zu Fuß anrücken lassen, erschien Jasmin zu gefährlich. Sie zog den Telefonstecker raus, um sich vor weiteren Belästigungen zu schützen. Zehn Minuten später kam Marko herein. Deshalb vermutete Jasmin, er habe sie angerufen.
«Und Sie meinen, Lohmann hätte das Kind belästigt?», fragte Klinkhammer.
Natürlich meinte Scheib das. Er war auch überzeugt, dass Kevin seinem Papa von den schlimmen Anrufen erzählt hatte, dass Stichler den Stecker zurück an seinen Platz drückte, dass Oliver später noch einmal anrief und Stichler die einmalige Chance erkannte, sich einer gefährlichen Zeugin zu entledigen und es so zu drehen, dass auf ihn kein Schatten fiel. Er musste nur den Stecker wieder rausziehen, damit seine Frau nicht vorzeitig gewarnt wurde. Aber eins kalkulierte er nicht ein, dass bodenlose Verzweiflung und eiskalte Planung zwei Paar Stiefel waren. Kein Mensch hätte ihn verdächtigt, wenn Karen tot im Haus gelegen hätte, als er aus Bergheim zurückkam. Doch da war nur etwas Blut. Es war eben kein Verlass auf andere. Stichler durfte nicht mehr sicher sein, dass Oliver sie wirklich umbrachte. Doch was konnte ihm passieren, wenn seine Rechnung nicht aufging? Gar nichts. Er konnte es sich sogar leisten, Oliver noch ein paar Stunden mehr zu verschaffen. Er musste nur die Kellertür wieder abschließen und die Blutspuren beseitigen.
Carmen Rohdecker ließ die Telefone überprüfen. Fehlanzeige. Sowohl in Frechen als auch im Haus der Stichlers waren keine ISDN-Leitungen verlegt, nur abgehende Gespräche nachweisbar. Und zuletzt von zu Hause aus telefoniert hatte Oliver Lohmann am Ostersamstag, als er Norbert um die Fahrt nach Edenbergen bat. Rohdecker ließ auch Leitner senior befragen. Der verwahrte sich entrüstet gegen die Unterstellung, Oliver Lohmann über den roten Mercedes-Kombi informiert zu haben. Natürlich musste man ihm nicht glauben. Oliver konnte kurz nach seiner Ankunft daheim wieder aufgebrochen und herumgefahren sein. Vielleicht hatte er bei einer Telefonzelle angehalten, um Jasmin zu belästigen. Eine Kinderpsychologin gelangte allerdings zu der Ansicht, das Mädchen sei Opfer eines jener kranken Zeitgenossen geworden, die sich daran aufgeilten, andere mit ihrer perversen Phantasie in Panik zu versetzen.
Was Oliver in dieser Nacht tatsächlich getan hatte, konnte nur er selbst erklären. Darauf hoffte Thomas Scheib nicht. Was tat denn so ein Junge, der sein Leben schon vorher ruiniert gesehen und es nun restlos zerstört hatte? Er brachte sich um.
Am 12. Mai entdeckte eine Polizeistreife in München den gestohlenen Mazda. Er stand verlassen in einer Ladezone nahe dem Parkhaus, wo die Besitzerin ihn abgestellt hatte. Karens Handtasche und das aus ihrer Küche fehlende Messer lagen nicht im Wagen. Beides mochte Oliver irgendwo unterwegs aus dem Auto geworfen haben. Die Handtasche der Fahrzeughalterin war ebenfalls weg. Zwischen den Pedalen im Fußraum lagen verkohlte Geldscheine und der Zettel, den Norbert am Ostersamstag unter der Haustür durchgeschoben hatte. Im gesamten Innenraum waren Münzen verteilt, als habe jemand damit um sich geworfen. Ein sicheres Zeichen, dass Oliver mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Der Wagen wurde zur kriminaltechnischen Untersuchung ins Landeskriminalamt gebracht. Man sicherte Fasern von Kleidung und ein paar Kopfhaare, auch etwas Blut am Beifahrersitz und eine Rolle Paketklebeband darunter.
Die Auswertung dieser Spuren wartete Scheib nicht mehr ab. Er bedankte sich noch einmal bei Klinkhammer für die Gastfreundschaft und das geduldige Ohr. In Wiesbaden wurde er bereits erwartet, nicht von Kollegen, von Ermittlern. Sie verlangten seinen Dienstausweis und seine Waffe, erklärten, er sei vom Dienst freigestellt, bis die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen geprüft seien. Freigestellt, das klang noch irgendwie gnädig, sie hätten auch suspendiert sagen können, darauf lief es hinaus.
Er fuhr nach Hause, konnte nichts mehr tun. Das ganze Wochenende saß er in seinem winzigen Arbeitszimmer. Nicht einmal für seine Frau war er ansprechbar. Er trank – auf Anja Heckel, Elisabeth Brandow, Angela Karpeling, Mei Li Jau, Marion Schneider, Silvia Lenz, Julia Roberts, Sabine Bergholt und Waltraud Habel. Neun junge Frauen, deren Tod wahrscheinlich ungesühnt bleiben würde, weil nach diesem
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