Das letzte Opfer (German Edition)
Desaster so schnell kein Staatsanwalt und keine Oberstaatsanwältin mehr bereit wäre, erneut gegen Marko Stichler zu ermitteln.
Am Sonntag wurde Oliver Lohmanns Leiche aus dem Starnberger See gefischt. Montags tauchten zwei Ermittler bei Thomas Scheib auf und fragten, ob er dem Jungen suggeriert habe, wie man ein zerstörtes Leben am besten bewältigte.
Etwas später kam Lukas Wagenbach, auch nicht als Kollege oder Vorgesetzter, nur als der Mann, der ihn gewarnt hatte. Er ging noch einen Schritt weiter mit seinen Vorwürfen als die anderen, war übers Wochenende in Köln gewesen und hatte sich von Klinkhammer alles minutiös schildern lassen. Nun zog er in Betracht, Scheib habe bei Karens Anblick kurzfristig umdisponiert und Stichler am eigenen Leib spüren lassen wollen, was ein Angehöriger fühlte, wenn er einen geliebten Menschen auf grausame Weise verlor. Warum sonst hatte er sich nicht durchgesetzt und seine Fragen im Haus gestellt? Warum hatte er Stichler nach Bergheim gebracht und stundenlang festgehalten, wo er ihm doch angeblich nur klarmachen wollte, dass er im Fall Lohmann nicht unter Verdacht stand?
Wagenbach sprach, als hätte er Stichler niemals für Barbaras Mörder gehalten. Es ging nur um das Telefongespräch, das Scheib am Tag nach seinem Aufenthalt in München noch mit Fährlich geführt hatte. Um seine Anweisung, Oliver Lohmann nicht zu behelligen. Sonst hätte der Junge sich ja auch nicht unbemerkt aus dem Staub machen können.
Scheib brachte kein Wort der Entlastung über seine Lippen, machte den Mund nur noch auf, um zu trinken. Erst als Wagenbach die Wohnung wieder verlassen hatte, lallte er: «Ich hätt’s besser getan. Nicht so, wie Lukas es sieht, nicht die Frau, um Gottes willen, aber diesen Kerl. Und ich tu’s, wenn sie ihn rauslassen. Ich mach mit ihm dasselbe, was er mit den Frauen gemacht hat. Ein Schlag auf den Schädel, das Gesicht in eine Pfütze, seinen Gürtel um den Hals. Und dann begrabe ich ihn im Spessart.»
Erwachen
Am 16. Mai wurden die Ergebnisse der Spurenauswertung aus dem Landeskriminalamt München nach Köln übermittelt. Bis zu diesem Dienstag hatte Carmen Rohdecker es geschafft, Marko Stichlers Anwalt über die Situation im Unklaren zu lassen. Da waren immerhin noch neun tote und vermisste Frauen. Doch dazu gab es nur Norberts Aussage, deren Wahrheitsgehalt inzwischen von mehr als einem angezweifelt wurde. Und nachdem unwiderruflich feststand, dass Karen in dem Mazda gesessen – und geblutet hatte, musste die Oberstaatsanwältin kapitulieren.
Marko Stichler wurde aus der U-Haft entlassen. Er ließ sich umgehend von einem Taxi zur Uni-Klinik bringen, saß eine halbe Stunde bei Karen, drückte behutsam die Lippen in ihre rechte Hand, weinte und murmelte: «Mein armer Schatz.» Und ehe er sie verließ, schwor er: «Wer immer das zu verantworten hat, ich sorge dafür, dass er zur Rechenschaft gezogen wird.»
Das hatte Arno Klinkhammer sich auch vorgenommen. Aber was konnte ein Mann in seiner Position schon großartig tun? Ihm stand kein riesiger Polizeiapparat zur Verfügung. Er strapazierte nur eine langjährige, gute Freundschaft, ging Carmen Rohdecker tüchtig auf die Nerven mit den Ansichten, die er von Thomas Scheib übernommen hatte. Mehr als einmal musste er sich anhören, er solle sich gefälligst um die Aufklärung von Einbrüchen im nördlichen Erftkreis bemühen und die Beurteilung von Kapitaldelikten den Leuten überlassen, die etwas davon verstünden.
Die Oberstaatsanwältin war nach ihren Gesprächen mit Lukas Wagenbach tagelang sehr reizbar. Sie hatte erfahren, dass eines der Opfer aus Scheibs persönlichem Umfeld stammte, fühlte sich von ihm für einen privaten Rachefeldzug missbraucht und sah keine Notwendigkeit, rund um die Uhr einen Polizisten auf die Intensivstation zu setzen, wie Klinkhammer es gerne gesehen hätte.
Der Mann, der Karen verletzt hatte, stellte für sie keine Gefahr mehr dar. Und ihr Mann: Vielleicht hatte er wirklich nicht mehr getan, als in ein verlassenes Haus zu kommen. Und wenn doch, er würde sich hüten, seiner Frau unter den wachsamen Augen des Klinikpersonals ein Kissen aufs Gesicht zu drücken.
Klinkhammer fürchtete auch mehr Stichlers Einflussnahme. Es war vermutlich nicht schwer, einer Frau, die aus langer Bewusstlosigkeit aufwachte, klar zu machen, dass man sie über alles liebte, auch wenn sie nun kein apartes Gesicht mehr hätte. Mit hübschen Gesichtern hatte Marko nach wochenlangen
Weitere Kostenlose Bücher