Das letzte Opfer (German Edition)
Fotosessions ja seine Schwierigkeiten. Im Prinzip musste er nur schwören, er liebe sie jetzt umso mehr. Wenn er ihr dann noch erklärte, es hinge nun allein von ihr ab, ob man ihm doch noch irgendetwas anhänge und sei es nur eine Begünstigung, war die Sache endgültig gelaufen.
Am 26. Mai wurde sie von der Intensivstation in die chirurgische Abteilung verlegt. Ein Einzelzimmer, wie ihr Mann es für sie wünschte, bekam sie nicht. Es lag noch eine Patientin in einem zweiten Bett, die sich von einer unkomplizierten Operation erholte und in guter Verfassung war. Das zumindest hatte Carmen Rohdecker veranlasst, die darauf wartete, dass die Ärzte grünes Licht für eine Befragung gaben.
Gegen Mittag blinzelte Karen zum ersten Mal. Wo sie war, registrierte sie nicht, spürte nur, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Ihr Mund war so trocken. Die Zunge lag steif und träge in einem scheinbar viel zu großen Raum. Sie konnte nicht einmal die Lippen bewegen oder einen Arm heben, um zu ertasten, warum es in ihrem Gesicht so spannte. Aber Schmerzen hatte sie nicht, war nur furchtbar müde und dämmerte wieder ein.
Beim zweiten Aufwachen war es später Nachmittag. Marko saß bei ihr, hielt ihre Hand, und kaum, dass ihre Augenlider zu flattern begannen, beugte er sich über sie, lächelte und sagte: «Hallo, Schatz, nun hast du sogar deinen Geburtstag verschlafen. Aber zum Glück auch einiges mehr.»
Sie wusste nicht, wovon er sprach, war doch so lange in China gewesen, stieg gerade erst wieder aus dem großen weißen Flieger und wusste nicht einmal mehr, wie sie hineingekommen war. Als sie bemerkte, dass sie in einem Krankenbett lag, fiel ihr ein, dass der Ford Taunus sich dreimal überschlagen hatte. Sie meinte, es könne noch nicht lange her sein, weil die Eindrücke so frisch waren.
Ihr war kalt, als läge sie auf feuchtem Ackerboden unter bewölktem Himmel, der aussah, als würde es bald regnen. Sie spürte einen unangenehm kühlen Wind über ihr Gesicht streichen und zwei Hände unter den Achseln. Der Landwirt zog sie vollends ins Freie, half ihr auf die Beine und sagte: «Mensch, Mädchen, hast du ein Glück gehabt.»
Mehr Glück als Verstand, das wusste sie auch. Sie war einem Mörder entkommen, brauchte keine Hypnose mehr. Von Oliver Lohmann wusste sie noch nichts, aber er hatte hervorgezerrt, was Schock und Panik vor zehn Jahren zugedeckt hatten. Sie sah es deutlich vor sich, die Enten, den Teich, ein Bündel Kleider am gegenüberliegenden Ufer, den roten Autolack weit hinten zwischen den Büschen und den nackten Mann, der bis zur Taille im Wasser stand. Ein schlanker Mann mit dunklen Haaren, das erkannte sie jedes Mal, wenn er sich aufrichtete. Und wenn er sich bückte, drückte er etwas unter Wasser, zog es wieder hoch, drückte es erneut nach unten, das erkannte sie wohl, begriff aber zuerst nicht, was er machte.
In dem aus der Entfernung grau und braun wirkenden Stoffhaufen am anderen Ufer lag etwas Grünes, so grün, dass es wie ein Signal leuchtete. Auf der Wasseroberfläche schwamm allerlei Unrat, jedoch nur in Ufernähe. Dort, wo der Mann stand, hatte sich ein Kreis gebildet, von dem Wellen ausgingen. Und in dem Kreis, zwischen den gespreizten Beinen des Mannes, schwamm etwas anderes, breitete sich wie ein dunkler Schleier auf dem Wasser aus, ging wieder unter.
Sie konnte nicht glauben, was sie sah, bewegte sich vorwärts wie eine Marionette, bis sie den niedrigen Zaun erreichte, nur ein Draht. Dahinter waren die Enten. Sie konnte nicht näher heran, um sich zu überzeugen, ob stimmte, was sie zu sehen glaubte. Der grüne Fleck in dem Stoffhaufen, Lis Kleid? Der Schleier auf dem Wasser, Lis lange schwarze Haare? Minutenlang stand sie da, spähte angestrengt zu der Stelle, machte im Wasser auch etwas Helles aus, ein Paar Schultern, einen Rücken.
Und endlich schaffte sie es, sich herumzuwerfen und zurück zur Straße zu rennen, wo der Ford Taunus stand. Es war soweit, und ihre kopflose Flucht hatte den Mann aufmerksam gemacht. Sie hörte das Platschen hinter sich, als er zu rennen begann, seine ersten Schritte durchs Wasser, dann die dumpfen auf dem Weg. Er war schneller als sie, kam rasch näher. Nun hörte sie schon den keuchenden Atem und seine Stimme, als er schrie: «Bleib stehen! Verdammt noch mal, bleib stehen, Karen!»
Sie wollte schreien, aber es ging nicht. «Streng dich nicht an, Schatz», sagte Marko. «Du darfst noch nicht sprechen, dein Kiefer war gebrochen. Wir müssen jetzt viel Geduld
Weitere Kostenlose Bücher