Das letzte Opfer (German Edition)
in die Schwabinger Wohnung kam, um zu duschen und sich umzuziehen, ob sie da schon in Begleitung war oder wenig später jemanden hereinließ, konnte nicht geklärt werden.
Die polizeilichen Ermittlungen wurden erst zwei Wochen später aufgenommen. Ihre Mitbewohnerinnen dachten sich erst einmal gar nichts, als Julia einige Nächte nicht in ihrem Zimmer verbrachte. Das war schon häufiger vorgekommen. Und nach der Ankündigung von Probeaufnahmen und Dreharbeiten in Italien fragte anfangs niemand nach ihrem Verbleib.
Erst als man auch in der zweiten Woche nichts von ihr gehört und Sebastian Hofer schon zum dritten Mal vor der Tür gestanden und nach ihr gefragt hatte, rief eine der jungen Frauen bei den Roberts in Weilheim an und erkundigte sich, ob man wisse, wo Julia sei, wann und ob sie überhaupt zurückkäme oder ob man ihr Zimmer anderweitig vergeben könne. Ihre Eltern waren völlig ahnungslos. Häufigen Kontakt hatte es seit dem Auszug der Tochter nicht gegeben. Julia hatte die Bitten ihrer Mutter satt, doch endlich zur Vernunft und wieder nach Hause zu kommen. Unter solchen Umständen bekommen Telefonanrufe Seltenheitswert. Aber dass sie für längere Zeit nach Italien gefahren sein sollte, ohne mitzuteilen, dass sie eine Filmrolle bekommen habe, hielten ihre Eltern für ausgeschlossen. Sie informierten die Münchner Polizei.
Einer der zuständigen Beamten war Josef Weigler. Als er das Zimmer von Julia zum ersten Mal betrat, lagen noch die Sportsachen vor dem Bett, in denen sie am 14. September morgens zu den Isarauen aufgebrochen war. Angeblich war in dem Zimmer nichts angerührt oder verändert worden. Erst nach eindringlicher Befragung räumte eine der drei Frauen ein, einer Bekannten für zwei Nächte Julias Bett überlassen zu haben mit der Anweisung, «die Klamotten liegen zu lassen», damit es nicht auffiel.
Weigler ging davon aus, Julias Freund sei nach ihrer Abreise noch einmal in ihrem Zimmer gewesen. Sebastian Hofer war ein starker Raucher, und auf einem Blumenuntersetzer, der versteckt hinter benutztem Geschirr auf der Fensterbank stand, lag ein Zigarettenstummel, keine Asche, nur die Kippe. Julia rauchte nicht, duldete auch nicht, dass in ihrem Zimmer geraucht wurde. Die junge Frau, die zwei Nächte in ihrem Bett verbracht hatte, schwor, ebenfalls noch nie in ihrem Leben eine Zigarette angefasst zu haben.
Es gab noch einen weiteren Hinweis: In einer Jackentasche fand sich die Visitenkarte einer Castingagentur. Die Jacke hing über einem Stuhl, wie lange die Karte schon in der Tasche steckte, konnte niemand sagen. Es war ein billiges Ding, von einem Automaten gedruckt, mit einem Phantasienamen und einer nicht existierenden Adresse. Auf dem dünnen Karton gab es keine Fingerabdrücke, auch nicht von Julia. Wer immer die Karte aus einem Automaten gezogen und in die Jackentasche gesteckt hatte, musste dabei Handschuhe getragen haben. Offenkundig wollte jemand die Ermittler in die Irre führen.
Obwohl seit ihrem Verschwinden schon zwei Wochen vergangen waren, fand sich ein Hausbewohner, der Julia noch gesehen hatte, kurz vor zehn Uhr vormittags am 14. September. Was den Tag betraf, war der Mann absolut sicher, es war sein Hochzeitstag. Er hatte einen Blumenstrauß für seine Frau bei sich gehabt und war bei der Haustür so heftig mit Julia zusammengestoßen, dass eine Blume geknickt wurde.
Der Zeuge war ebenso sicher, dass Julia in Begleitung eines Fremden gewesen war, der eine Reisetasche getragen hatte. Sie hatte sich lebhaft mit dem Mann unterhalten und es nicht für nötig befunden, sich wegen der geknickten Blume zu entschuldigen. Josef Weigler bekam eine Beschreibung, die auf zigtausend Männer zutraf – auch auf Thomas Scheib. Mittelgroß, schlank, volles, dunkles Haar, ein schmales Gesicht ohne Besonderheiten, glatt rasiert, Anfang dreißig, gut gekleidet.
Eine Phantomzeichnung wurde nach diesen Angaben nicht sofort angefertigt. Weigler konzentrierte sich auf Julias Freund, obwohl eine Untersuchung der Zigarettenkippe ergab, dass Sebastian Hofer sie nicht geraucht hatte. Aber er konnte sie auf der Straße aufgehoben haben, um von sich abzulenken. Mehrfach wurde er verhört, sein Wagen untersucht, überprüft, wie er die beiden Wochen seit Julias Verschwinden verbracht hatte. Es gab nicht für jede Stunde ein Alibi, und er hatte schon zwei Tage nach Julias Abreise von den Probeaufnahmen in Italien erfahren, ihren Eltern gegenüber aber kein Wort darüber verloren.
Weigler nahm an,
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