Das letzte Opfer (German Edition)
ständig unterwegs war, um irgendwelche Leute abzulichten. Er verdiente sein Geld hauptsächlich in Margos Agentur. Handwerklich war er völlig unbegabt, konnte keinen Nagel gerade in die Wand schlagen und hatte Schwierigkeiten, wenn er einen Autoreifen wechseln sollte. Das gab er auch noch offen zu mit einem so amüsierten Unterton, als blicke er auf Gerüstbauer und Kfz-Mechaniker herab.
«Wenn es mal zum Streit kommt zwischen ihm und Margot», sagte Christa, als Karen ihren Koffer schloss, «steht er auf der Straße und du gleich mit. Er arbeitet ja nicht nur für sie, er lebt auch noch bei ihr.»
Bei Margo war auch Platz genug. Sie hatte eine geräumige Altbauwohnung über den Räumen der Agentur. Aber selbst wenn sie eine Villa gehabt hätte oder ein Mehrfamilienhaus, nichts, was Marko betraf, fand zu Anfang Gnade in Christas Augen. Über alles regte sie sich auf, sogar über seinen Traum, einmal künstlerisch zu arbeiten. Irgendwann wollte er einen Bildband mit Naturaufnahmen herausbringen, notfalls auf eigene Kosten, wenn sich kein Verleger dafür fand. Bäume, Bäche, Wiesen, ganz ruhige Eindrücke, bei deren Betrachtung man abschalten konnte.
«So was kauft doch kein vernünftiger Mensch», sagte Christa und prophezeite Karen an Markos Seite den totalen Untergang. Ein Mann, der meist von karrieresüchtigen und halb nackten Frauen umgeben war, da musste man davon ausgehen, dass er noch ganz andere Stellen drückte als nur den Auslöser seiner Nikon oder Canon. Dass er Karen sitzen ließ oder wieder nach Hause schickte, wenn er ihrer überdrüssig wurde. Und dann waren es vermutlich zwei Kinder, die Christa am Bein hatte.
Dass Marko es ernst meinen könnte, glaubte Christa keine Sekunde lang. Aber genau das tat er, und das war vielleicht das Schlimmste. Er sprach nicht nur von Hochzeit, wollte auch unbedingt Jasmin adoptieren, vertrat die Ansicht, ein Kind gehöre zur Mutter. So hatte Christa es ebenfalls gesehen, als es um Markos Halbschwester ging. Nun war das natürlich etwas anderes. Das geliebte Enkelkind hergeben, das vom Tag seiner Geburt an wie ihr eigenes gewesen war, den Nachbarn und der Kundschaft erklären müssen, warum das Nesthäkchen zur «älteren Schwester» nach Köln zog, was für eine Blamage.
Wochenlang jammerte Christa, sah Jasmin schon als Model für Kinderbademoden in kleinen Versandhauskatalogen, mit Austauschschülern herumlungern, mit sechzehn oder achtzehn schwanger werden. Diese Tradition musste nun wirklich nicht fortgesetzt werden. Abgesehen davon wollte Jasmin auch nicht adoptiert werden. «Ich mag nicht Stichler heißen», sagte sie. «Dann weiß doch keiner mehr, wer ich bin.» In Köln leben wollte Jasmin auch nicht. Sie wollte bei «Mama» bleiben, hatte ihre Großmutter vom ersten Moment an Mama genannt. Karlheinz war Papa, Karen war immer nur Karen.
Margo gelang es mit viel Überredungskunst, ihrem Stiefsohn die Adoption auszureden. Sie meinte, eine Ehe mit Kindern zu beginnen, sei nicht das Wahre, man brauche zuerst etwas Zeit für sich selbst und müsse auch den Willen des Kindes respektieren, so schwer das auch fiele.
Es fiel Karen sehr schwer, auf ihre Tochter zu verzichten. Es gab keinen Menschen, den sie mehr liebte als dieses Kind, das ihr so ähnlich war wie ein Zwilling. Aber ihre Mutter hielt Margo von da an für eine vernünftige Frau.
«Irgendwie kann sie einem ja Leid tun», sagte Christa. «Wenn ich mir vorstelle, ein Kind stirbt, der Mann lässt sie sitzen und nimmt die jüngste Tochter mit ins Ausland. Das steckt man nicht so leicht weg. Da kann man von Glück sagen, dass Marko alt genug war, um selbst zu entscheiden, bei wem er leben wollte.»
Und dann vermutete Christa, dass Margo die Liebe und Treue ihres Stiefsohnes mit dem Weglassen des letzten Buchstabens ihres Namens honorierte. Ohne das T am Ende klang es so ähnlich und zeugte von Verbundenheit. Und wenn Margo es gerne so hören wollte, warum nicht? Immerhin war es Margos Verdienst, dass Christa ihr «jüngstes Kind» behalten und aller Welt erzählen durfte, es ginge Karen gut.
Das tat es. Schon in den ersten Wochen nach ihrem Umzug blühte sie auf. Sie half in der Agentur, zu Anfang nur im Sekretariat. Marko wäre es lieber gewesen, sie hätte sich in einer Schauspielschule angemeldet. Karlheinz hatte ihm erzählt, dass ihr ganzes Herz an der Bühne hing, seit sie zum ersten Mal als Maria auf einem mit Tannengrün geschmückten Podest gestanden hatte. Doch das traute sie sich nicht
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