Das letzte Opfer (German Edition)
Hofer habe Julia aufgelauert, als sie zurückgekommen war. Mit ihrem Wohnungsschlüssel konnte er tagsüber unbemerkt in ihr Zimmer, den Zigarettenstummel und die Visitenkarte deponieren. Obwohl die Beweislage dürftig war, es gab keine Leiche, wurde Hofer festgenommen. Weigler übte starken Druck auf ihn aus, bluffte schließlich mit einem Leichenfund, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen. Nach diesem Verhör erhängte sich Sebastian Hofer in seiner Zelle. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem er noch einmal seine Unschuld beteuerte und erklärte, wenn Julia tot sei, habe sein Leben den Sinn verloren. Es blieb Weigler nichts anderes übrig, als Julia Roberts’ Verschwinden Anfang November 1994 dem Bundeskriminalamt zu melden, weil für ihn keine Aussicht mehr auf Klärung bestand.
Thomas Scheib fuhr umgehend nach München und machte sich mit seiner Ansicht, Julia Roberts sei einem Serienmörder zum Opfer gefallen, einen Feind fürs Leben. Davon wollte Weigler nichts hören. Da er sich in keiner Weise kooperativ zeigte, wandte Scheib sich an die Münchner Staatsanwaltschaft. Weigler musste sich in der Folge einiges anhören, Versäumnisse wurden ihm vorgeworfen.
Nun endlich wurde nach den Angaben des Hausbewohners, der Julia mit einem dunkelhaarigen Mann gesehen hatte, eine Phantomzeichnung angefertigt. Sie taugte leider nicht viel. Der Zeuge hatte nur einen flüchtigen Blick auf Julias Begleiter geworfen, seither waren zwei Monate vergangen. Kurioserweise hatte das nach den Angaben des Mannes gefertigte Porträt große Ähnlichkeit mit Thomas Scheib.
Für Weigler war es eine Genugtuung. Er meinte, man könne die Zeichnung nutzen, um den Spinner vom BKA aus München fern zu halten. Wenn man sie veröffentliche, dürfe Scheib sich dort nicht mehr auf der Straße blicken lassen. Außerdem beschwerte er sich in Wiesbaden über die Einmischung. Scheib wurde zurückgepfiffen. Sein Abteilungsleiter meinte, man wisse seine Arbeit in der zentralen Vermisstenstelle zu schätzen, aber wenn er darüber fixe Ideen entwickle, es gäbe auch andere Ressorts, in denen er sich nicht den Kopf über Serienmörder zerbrechen müsse.
Auch Lukas Wagenbach gab sich große Mühe, ihn zu überzeugen, dass sein Verdacht jeder Grundlage entbehrte. Gut, es gab diesen Abschiedsbrief, in dem Hofer noch einmal herzergreifend seine Unschuld beteuert hatte. Aber es gab auch Mörder, die ihre Tat völlig verdrängten, sogar vor sich selbst leugneten. Wer wusste denn, ob Julia Roberts überhaupt umgebracht worden war?
Vielleicht hoffte sie jetzt anderswo auf ihre Entdeckung und die große Karriere als Star. Es gab mehr Filmmetropolen als München und überall Lokale, in denen eine hübsche junge Frau rasch einen Job als Bedienung fand. Unterschlupf stellte auch kein großes Problem dar. Und wenn sich eine erwachsene Frau nicht um die Meldepflicht scherte, hieß das nicht automatisch, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Vielleicht hatte Julia einen vermögenden Gönner gefunden, von dem sie sich aushalten ließ, sodass sie nicht darauf angewiesen war, ihre wenigen Habseligkeiten in München abzuholen. Vielleicht meldete sie sich nur nicht bei ihren Eltern, um sich keine Vorwürfe zum Selbstmord ihres Freundes anhören zu müssen.
Elisabeth Brandow war umgebracht worden, das ließ sich nicht leugnen. Dass sie sich selbst völlig unbekleidet im Wald verscharrt hatte, behauptete nicht einmal Wagenbach. Aber das war inzwischen zehn Jahre her. Ihren Mörder noch überführen zu wollen, hielt Wagenbach für unmöglich. Das war auch nicht Aufgabe eines Beamten aus der zentralen Vermisstenstelle. Er handle sich nur Schwierigkeiten ein, wenn er so weitermache, meinte Wagenbach.
Scheib überhörte die Mahnungen geflissentlich, nahm vier Tage Urlaub und fuhr noch einmal nach München, auch nach Weilheim, um mehr über Julia Roberts zu erfahren.
Es verging nach ihrem Verschwinden kaum eine Stunde, in der dieser Mörder nicht bei ihm war wie ein böser Geist, der Besitz von seinem Leben ergriffen hatte. Meist sah Scheib ihn auch so, als Phantom. Es tauchte auf, wählte sein Opfer und verschleppte es in eine Unterwelt, zu der nur böse Geister Zugang hatten. Dann tauchte es wieder unter für zwei Jahre in einem Umfeld, in dem es wahrscheinlich ein solider Durchschnittsbürger war.
Scheib stand morgens mit ihm auf, saß mit ihm am Frühstückstisch, fragte sich tagsüber hundertmal, was der Mörder wohl gerade tat, ging abends mit ihm
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